Als ich mal einige Tage ein Vertreter für Werbeanzeigen war
Der folgende Text ist in gedruckter Form veröffentlicht im 100-seitigen Magazin „Martin Hiller – Bulletin July 2020“, das hier bestellt werden kann.
Als Mensch, der die meiste Zeit seines Leben in sich selbst verbringt, der oft nicht ganz bei den Sachen des Alltags ist, der zwischen phlegmatischen Phasen der Reglosigkeit und rastlosen Manien hin und her pendelt, als Mensch also, der knietief durch die Sümpfe zwischen Brotjob und Selbstverwirklichung stapft, bin ich als Arbeitnehmer in einem Anstellungsverhältnis eher eine Art Kind, das Zur-Arbeit-Gehen spielt.Ich schäle mich morgens in einer unwirschen Schere aus dem Bett, trödele mich mit klebrigen Augen irgendwie in den Tag, gehe beim ersten Kaffee meiner Routine zwischen Mails checken und Müßiggang nach, krame dann – wie ein Kind seine Sachen in ein Pappköfferchen schaufelt – irgendwelche berufsrelevanten Dinge in meine Umhängetasche und falle irgendwann hastig und viel zu spät aus der Tür.
Um meine künstlerischen Ambitionen vor der sogenannten leistungsorienterten Gesellschaft zu entschuldigen, habe ich mich immer wieder in die irrsten Arbeitsverhältnisse begeben. Vom Lagerarbeiter und Bibliotheksgehilfen über Pressestellen- und Rundfunkanstaltsmitarbeiter bis hin zum Callcenteragenten war da alles dabei. Einen besonders grotesken Job führte ich im Herbst vor gut sieben Jahren aus.
Ein Freund, der es gut mit mir meinte und mich aus irgendeinem anderen Job der mich nach und nach zu zermürben drohte, hinausholen wollte, bugsierte mich in ein Anstellungsverhältnis das eigentlich nicht ferner meines eigenen Naturells hätte sein können: Ein regionales Medienunternehmen war auf der Suche nach jemandem, der an lokale Unternehmen und Dienstleister Anzeigenplätze in seinem Fernsehprogramm verkauft.
Ich bin als jemand, der einkaufen geht, eigentlich ziemlich talentiert und redete mir ein, dass ich das mit dem Verkaufen ja vielleicht auch hinbekomme. Ausserdem hatte ich als Verkäufer ja schon Erfahrungen bei ebay kleinanzeigen gesammelt und in einem Studentenjob schonmal Telefontarife zu verkaufen versucht. Mit diesen Qualifikationen und weil sich wahrscheinlich kein anderer Blödian fand, bekam ich den Job und damit einen weiteren absurden Eintrag in meinem nicht unbedingt löchrigen, aber aus vielen Einzelsegmenten zusammengeclusterten Lebenslauf.
Ich gehe grundsätzlich gern einkaufen und mache nahezu täglich kleine bis kleinste Einkäufe. Nicht aus Konsumlust, sondern weil ich die neutrale Atmosphäre in Einkaufsläden sehr schätze. In einem Laden gehört niemandem etwas richtig. Alles was hier in den Regalen liegt sind noch unangetastete Möglichkeiten, die darauf warten erworben und in Verwendung gebracht zu werden. In einem Laden ist nichts von Bedeutung. Erst in der Bindung an den kaufenden Menschen werden diese rumliegenden Dinge zu Zweckbringern und Nutzgegenständen. Bei Klopapier und anderen grundlegenden Tools der Körperhygiene wird die Antwort zwar fast immer „ja“ lauten, alles in allem ist ein Laden aber einer von jenen heute seltenen Orte, in den man eindeutig Ja oder Nein sagen kann. Man muss ja den ganzen Scheiss da nicht kaufen. Es zwingt einen niemand dazu und für größere Spirenzchen fehlt mir sowieso oft das Geld.
Ich selbst kaufe meistens Sonderangebote. Aus finanzieller Beklemmung und der Liebe zu längeren Spaziergängen heraus entwickelte ich mich zu einem versierten Schnäppchenjäger und nehme teilweise massive Umwege in Kauf, wenn ich weiss, dass es dieses oder jene Alltagsprodukt irgendwo günstiger und gerade in der Aktion gibt. Ich kaufe, was eben so übrig bleibt, was eventuell abgelaufen ist, was niemand haben mag. Das Einkaufengehen ist für mich eher ein Besuch in einem Supermarkt – wie ein Bummel in die anonyme Welt der anderen Menschen, die dort ebenso wie ich auf der Suche sind, nach Schnäppchen, etwas Glück und Zerstreuung im Alltag.
Ich bin als Käufer also eher ein irrationaler Romantiker. Als Verkäufer und Aufschwatzer verhält es sich mindestens ähnlich. Aber um meine romantisch motivierten Besuche im Supermarkt mit gelegentlichen Alibi-und Klopapier-Einkäufen zu rechtfertigen, wofür ich schließlich etwas Geld benötigte, und da ich annahm, dass mein neuer Job auch mit vielen Spaziergängen verbunden sei und es mir – es breitete sich schon wieder dieses bleierne Gefühl in mir aus – vielleicht gut täte, wenn ich etwas mehr unter Leute käme, sagte ich zu unterschrieb in einem matschigen Winter im Jahr 2011 meinen neuen Arbeitsvertrag.
Meine Anstellung als Anzeigenvertreter fiel in die Vorweihnachtszeit und als eine Art Handlungsreisender bezog ich an einem späten Novembertag eine Nische im Zimmer des Chefs höchstselbst. Als Arbeitsfläche diente mir eine schwere Klapplade, die ich mir aus einem dunklen, nach Cognac und nassen Streichhölzern duftenden Kirschholzsekretär aufmachen konnte. Es fehlten eigentlich nur noch Stickdeckchen, welke Blumen und massige Brokatvorhänge um dieses Bürostillleben so bleiern wie mein Innenleben zu färben.
Meine Aufgabe hier sollte es sein, Leute zu gewinnen, die freiwillig und gegen die Zahlung von Geld ein sogenanntes Anzeigenfenster im Sendeprogramm des Lokal-Fernsehens zu buchen bereit waren.
Wie es sich für einen Anzeigenagenten gehört, erhielt ich eine schwarze Büromappe, in der sich Ausdrucke der zu verkaufenden Musteranzeigen, ein paar Visitenkarten mit meinem Namen darauf sowie ein Kugelschreiber, der, wenn man ihn auf den Kopf stellte und die in seinem hinteren Ende eingefüllte Flüßigkeit absackte, ein weibliches Pin-Up-Modell entblößte. In einem Seitenfach fanden sich ein paar Photos von Motorädern und älteren Männern. Ich war mir nicht sicher, ob hier jemand beim Zusammenstellen meines Starter-Sets geschludert hatte oder ob ich mich einfach gleich Willkommen fühlen sollte wie in einer ebenso verschworenen wie offenbar ziemlich verschrobenen Familie.
Der Chef war ein Motorrad-Fan und sah ein bisschen aus wie Hulk Hogan. Er trug ein Bandana auf dem Kopf und während ich mit meinem bizarren Büromäppchen vor ihm stand wie ein eingeschultes Kind mit seiner Zuckertüte, tänzelte sein Walroßschnurrbart beim Sprechen wie eine Muppet-Show-Figur auf seinem markigen Gesicht.
Dass er so gar nicht in das Klischee eines aaligen Medienmachers passte, gefiel mir – der so gar nicht in das Klischee eines Arbeitnehmers passte – natürlich außerordentlich gut. Meistens war Chef außer Haus: Kundengespräche, Networking, Messetage, Kaffeekränzchen, Get-Together, Händeschütteln. Vielleicht fuhr er aber auch nur mit seinem in meiner Büromappe abgebildeten Motorrad in der Gegend herum und traf sich mit den decision makern zu wichtigen Entscheidungen am Whirlpool. Niemand im Medienhaus wusste das so genau. Ich sah meine Kollegen aber auch eher selten, weil ich wie eine Art Geist dort ein und schnell wieder aus ging. Die sich in mir, unter dem Soundtrack der Musik von Steppenwolf, breit machende Vorstellung, wie Chefs Schnurrbart bei seinen Chopper-Ausritten schlotternde Ringkämpfe mit dem Fahrtwind ausfechtete, amüsierte mich, als ich da so vor meinem Cognacschrank saß, wie vor einem Zeit und Raum fressenden, schwarzen Loch.
Während der Chef also nicht im Haus war und die Kameraleute, Cutter und Contentmacher ihrem sinistren Tagwerk der regionalen Medienmacherei nachgingen, hockte ich wie ein zum sinnlosen Warten in die Ecke gestelltes Kind hinter zugezogenen, nikotingelben Plissees und strich mit meinem frivolen Kugelschreiber die Kontakte von meiner Liste.
Ich telefonierte erstmal die regionalen big player ab. In den Presse- und Marketingstellen der Energieversorger, Krankenhäuser und Volkstheater saßen jetzt Freunde von mir, mit denen ich einige Jahre zuvor noch tagsüber studierte und nachts in den alternativen Jugendzentren soff. Nach und nach wurden ja alle fertig mit ihrem Studium, ihrem Leben, ihren frühen Verpuppungen ins adulte Stadium. Meine ehemaligen Gefährten besetzten jetzt richtige Stellen im richtigen Berufsleben. Manche waren sogar fast schon Ärzte! Andere doktorten noch so an ihrer Diplomarbeit herum und manche hatten nicht mal mehr einen festen Wohnsitz, weil sie als renommierte Wissenschaftler ständig in der Welt herumreisten. Am Ende war aber auch das alles egal: im Einkaufsladen fällten wir, wenn auch nicht in den selben Preisklassen, wahrscheinlich grundsätzlich die selben Entscheidungen. Auf die Kardinalsfrage „Klopapier ja oder nein“ fanden wir alle wahrscheinlich die selbe Antwort.
Warum ich jetzt plötzlich Anzeigenvertreter war, konnten sich meine Marketingfreunde offenbar auch nicht so richtig beantworten. Ein seltsam konsterniertes Schweigen knackste in der Leitung, als ich sie mit meinem aschgrauen Büroapparat anrief.
Ich telefonierte dann, in die lakritzschwarze Antimaterie meiner Schrankwand starrend, eine Zeit lang das Buch örtlicher Mittelstandsunternehmen ab. Ich ging in Fahrschulen, Bäckereien und Möbelhäuser. Ich klopfte bei Gastronomen, Sparkassen und Modemärkten an. Ich tingelte ohne größere Lust, ohne Rückgrat und vor allem ohne irgendeine Glaubwürdigkeit als Anzeigenvertreter durch die filmreif trostlosen, in wirrem Neonlicht sirrenden Flure von Ämtern und anderen Elendsverwaltern.
Auch stiefelte ich wie eine Biene durch einen fremden Staat durch das Einkaufscenter am Rande der Stadt. Hier versammelten sich viele Läden und Dienstleister an einem Ort. Hier sah ich, der inzwischen wahrscheinlich schon selbst nach Cognac roch, meine Chance als Anzeigenaufschwatzer.
Am späten Vormittag mahlten hier die Rentner und andere zerfurchte Arbeitslose ihre müden Runden ums Rondell mit den struppigen Zierpflanzen. Fastfood, Klopapier und bunter Scheiss ragten aus den wie Einkaufswagen, die krumme, schwer atmende Leute zu ihren Autos schoben. Omas und Opas verharrten, gut getarnt in farblosen Jacken am Gummibaumrondell, ängstlich ihre Handtaschen im Schoße hütend. Ungesund aussehende Eltern führten in den Quengelbereichen der Kassen Kriege mit ihren ähnlich ungesund aussehenden Kindern. Wie kleine Gollums saßen manche von ihnen in den Spielzeugkarussels, deren Geldeinwurfschlitze mit Kaugummis verklebt waren. Ein verschwitzter Autoverkäufer hatte sich und seine Mittelklasse im Einkaufszentrumszentrum postiert. Gleich neben ihm quälte ein kleines Blasorchester jaulige Weihnachtslieder aus seinen Instrumenten. Als hätte man Bing Crosby Crack in seinen Cognac gemischt.
Wie in einem, eigenen Regeln folgenden Computerspiel ameisten die Menschen hier durch die Gänge, Gassen und Flure. Wie Wesen mit einer scharf umrissenen, irgendeiner Bestimmung entsprechend streng begrenzten, künstlichen Intelligenz roboterten sie, einem eingeschriebenen Schema zu folgen scheinend, ihrem Treiben nach. Eine Art innerer, insektenähnlicher Code zur Vergemeinschaftung schien hier fehlerhaft ausgelesen, als stumpfe Systematik nebeneinander stattfindender, an manchen Angelpunkten gruppendynamisch miteinander verknüpfter Individualbewegungen dechiffriert worden zu sein. Ich, der Cognac-Gollum mit den leeren Augen eines Büro-Geists, reihte mich ein in dieses Schauspiel der modernen Welt.
Ob Schuhladen, Media Markt oder Friseur-Franchise: es war egal, ob ich mir Mühe gab oder nicht: ich war in meiner grotesken Rolle als Anzeigenvertreter eine wahrlich lausige Besetzung. Es war wie schon als Kind, als ich der guten Geste wegen mich auch mal zu anderen Kindern gesellte, es eigentlich aber vorzog lieber allein zu spielen, da ich generell schon damals, auch was das Spielen betraf, eher mit wenig zufrieden war und mich lieber spielerisch in antimateriellen Tag-Träumereien verlor, wobei mir meine Altersgenossen nun wahrlich keine Hilfe waren. Bis heute ist es so, dass mich zuviele Inputs und Reize von Außen zuweilen apathisch und lahm machen. Ich komme im Vergleich zu anderen Leuten, wie z. B. Bademeistern, Kinobetreibern oder Ballermann-Animateuren, eher selten unter Leute. Da ich im Kopf immer mit anderen Dingen als meinem direkten Umfeld, generell eher wenig mit dem Alltag als solchem, sondern vielmehr mit einer inneren Aus- und Umdeutung seiner auf mich einprasselnden Impulse befasst bin, findet man mich manchmal etwas unkonzentriert, nicht ganz bei den Sachen, vielleicht wirr, gelegentlich fast schon irre, manchmal, es selbst gar nicht bemerkend, in Selbstgesprächen stochernd, durch die Straßen stolpernd. Ich bin zusammenfassend gesagt also nicht der Idealtypus eines outgoing, auf die Leute zuschreitenden, die Menschen ungefragt volllabernden, redseligen Gecks.
Für jemanden, der als Anzeigenheini auf Zack sein soll, sind das nicht unbedingt die besten Grundlagen.
Kurzum: auch in der Vorstadt-Mall kaufte man mir meine Ambitionen als amphibisch vor sich hin fischelnder Anzeigenfilou in keinster Weise ab. Ich bin, damals wie heute, als Mensch nur dann gut, wenn ich die Dinge aus freiestem Willen und vollster Lust heraus mache. Nicht zuletzt deshalb lebe ich heute ein eher asketisches, an wenige Willenszwecke und grundsätzlich leicht händelbäre Lustprinzipien orientiertes Leben. Der perfekte Urlaub sind für mich freie, leere Tage ohne organisatorischen Stress und mit vielleicht einigen anregenden Getränken ab dem späten Nachmittag. Oft fahre ich gar nicht erst in den Urlaub, weil mir Planung dessen schon viel zu kompliziert ist.
Ich reise generell lieber in mir selbst und in meinen existentialistisch vor sich hin mäandernden Gedanken herum. Hier fahre ich naturgemäß gelegentlich zwar im Kreis, manchmal ist es aber auch eine heitere Kutschfahrt durch altbekannte Orte innerer Einkehr und neuer Erkenntnisse – und an den manischeren Tagen ist es eine irre Achterbahnfahrt durch aufgeplatzte Knoten kosmischer Erleuchtung.
Während ich also wie eine in Öl gemalte Pflaume in meinem Stilllebenbüro so in mir selbst herumreiste, stieß mir im Regionalanzeiger die Annonce eines neuen Fahrradladens in der Stadt entgegen. Es war längst dunkel draussen, so wie es in diesen letzten Wochen jenen Jahres sowieso kaum irgendwann hell wurde, und ich beschloss mich auf dem Heimweg nochmal in der hippen Zweirad-Bude vorstellig zu machen.
Die meisten Fahrradläden sehen hier aus wie alle Fahrradläden überall. Es sind neonbeleuchtete Räume, die selbst nicht genau wissen, ob sie Werkstatt, Teilelager oder Verkaufsschauraum sein wollen. Schon früh, als Jugendlicher trug ich kleine Traumata davon, als ich meine Räder wegen kaputter Tretlager zu Fahrrad Peters in Grünau bringen musste. Um dort so selten wie mögich hin zu müssen, erarbeitete ich mir schnell ein profundes Wissen als Fahrradbastler. Ich kenne heute gestandene Männer von weltgewandtem, merkantilem Wesen, die jedoch zu doof sind, einen Fahrradschlauch zu wechseln.
Fahrradladenbetreiber sind damals wie heute zumeist Männer mitte Fünfzig. Sie tragen, ebenso wie mein damaliger Chef, Walross-Schnurrbärte und dazu blaue Latzhosen. In ihren Geschäften stehen sie wie reglose, große Samsons hinter der Ladentheke. Ein Auszubildender entachtet mit ausdruckslosem Gesicht ein schmutziges City-Bike. In einem verrauchten Verschlag im Hinterzimmer macht eine vogelhafte Frau die Buchhaltung. Es riecht nach Gummi, Schmierfett und Essigreiniger und damit immer irgendwie so, wie ich es mir in einem Lack-und-Leder-Fetisch-Swingerclub vorstelle. In diesen Paralleluniversen der Pedalisten scheint die Zeit stehen gebleiben zu sein.
Der damals neu eröffnete junge Fahrradladen hob sich von diesem Schema ab. Die beiden jung-dynamischen Ladenbetreiber schienen direkt einer Scripted-Reality-Show von DMAX entsprungen zu sein. Diese Schrauberbrüder strahlten mit ihren Muskeln, ihren Funktionskleidungsoberteilen und ihrer gut gespornten Art eine Vitalität aus die sonst nur von Pornodarstellern und Jungpolitikern ausgeht.
Der Nieselregen hatte mittlerweile seit Wochen vollends Besitz von der Stadt ergriffen und während ich mein klappriges Damenrad vor der Türe anschloss, mir der Regen in die Unterhose troff und ich notdürftig meine bummsfidele Büromappe mit dem triefenden Ärmel meiner quietschenden Wetterjacke trocken zu wischen versuchte, spürte ich gleichermaßen vitale wie wunderliche Blicke hinter der Schaufensterscheibe.
Die Schrauberbrüder ahnten, als meine müde Hand die Klinke ihrer Ladenpforte drückte und ich hinter meiner beschlagenen Buddy-Holly-Brille Orientierung suchte, dass ich nicht gekommen war, um mir eines der bulligen 2000-Euro-Fahrräder aus der Auslage zu kaufen oder mein vollverchromtes Fixie zur Durchsicht zu bringen.
Eine kurze Weile stand ich so im Eingang. Es war kurz vor dem Feierabend, ich war der lästige, letzte Mensch. Von mir rann alles Nasse in den Fußabtreter. Draussen warfen die Autos Gischt auf den Bürgersteig. Der eine der beiden Schrauber-Brüder bearbeitete mit einem fettigen Velourslappen ein Stück Metall das kompliziert aussah und glänzte wie medizinisches Besteck. Trüben Blickes und in Gedanken sowieso schon bei meinem nächsten grotesken Job schritt ich auf die Schrauber-Buddies zu. Sie musterten mich, wie es früher die Jungs in der Schule immer taten. Als brächte ich mit meiner bloßen Anwesenheit irgendein komplexes System der mündlich überlieferten Gesetze von Härte und Strammheit aus den Rudern, als stimmte irgendwas nicht, nur könne man es nicht benennen. In ihren Gesichtern war Befremdlichkeit zu lesen. Wahrscheinlich war ich nicht der erste Anzeigenvertreter in ihrem Haus. Doch irgendetwas schien hier nicht nach Protokoll zu laufen, das spürten wir hier alle. Der Kosmos wackelte.
Sie schauten sich mit angemessenem Respekt meine wirre Performance eines Anzeigenvertreters an. Ihre graumelierten Rekrutenhaare schimmerten im stylishen Showroom-Licht ihrer Ladenfläche, die mit anderthalb dutzend aufgebauter Fahrräder mehr monetären Wert versammelte, als ich in meinem Job als Anzeigenhanswurst in drei Jahren verdiente.
Auf den Gläsern meiner Brille malte der Niesel seine schmutzigen Linien und ich trug mit trüber Stimme mein wirres Gebrabbel über Reichweitensteigerung und Werbeplätze zur besten Sendezeit vor. Die Schrauber-Johnnys hatten sogar die Größe nicht in wieherndes Gelächter auszufallen, als ich Ihnen die ausgedruckten Beispiel-Anzeigen zeigte, von denen keine Sau in unserem Betrieb wusste, wer die gestaltet hatte. Es waren hochgradig kitschige Stock-Photographien von glitzerndem Weihnachtsschmuck und kulissenhaften Kunstschneelandschaften, die um großzügig gesperrte Textblöcke herum drappiert waren, in denen die Anzeigenkäufer ihren Text und – gegen Aufpreis natürlich – gegebenenfalls auch ihr Firmenlogo platzieren konnten. Diese Musteranzeigen waren kurz gesagt eine Schande für das Kommunikationsdesign im Allgemeinen und meine Restwürde als Mensch, der für Geld scheinbar alles macht, im Speziellen.
Die Schrauberbuddies hatten natürlich ein zeitgemäßes, minimalistisch gehaltenes Logo, das typografisch geschickt und unter Nutzung von Weissraum und Negativformen die Abstraktion eines sportiven, fahrradfahrenden Mannequins in einem Trademark mit Wiedererkennungswert ikonografierte. Während mir diese designphilosophischen Gedanken so im Kopf herumgeisterten wie das windschiefe Echo bimmelnder Glocken, erklärten mir die Schrauber-Buddies gerade ihre einizgartigen Messinstrumente, mit denen man in der Lage war, Fahrräder so ergonomisch wie nur möglich auf den darauf Sitzenden abzustimmen.
Offenbar waren wir, ich erlebte diesen letzten Tag meiner Arbeit als Anzeigenarsch mittlerweile nur noch als eine Art Fiebertraum, offenbar waren wir mittlerweile von meiner Anzeigenperformance zu einer Art Verkaufsgespräch zu Gunsten der Schrauber-Boys übergegangen. Ich bekam etwas Angst, dass sie auf die Idee kämen, mir das Gerät am lebenden Beispiel eines eingeregnteten Anzeigenvertreters demonstrieren zu wollen und verabschiedete mich, etwas zu hastig und unter den schlüpfrigen Geräuschen der nassen Strümpfe in meinen Schuhen, rückwärts den Laden verlassend, von den beiden Schrauber-Schraubern, in der Hoffnung nie wieder einen Fuß in das nähere Einzugsgebiet dieses Ladens setzen zu müssen.
Drei Hauseingänge weiter schloss ich die Tür zu meiner Wohnung auf und hing meine froschige Wetterjacke gemeinsam mit meiner Karriere als Anzeigenarsch an den Haken und ließ mir ein heißes Bad ein, um mich rituell reinzuwaschen.
Am Ende hatte ich nach einigen Wochen in diesem Job den regionalen Rekord unter Werbeanzeigenverkäufern aufgestellt: ich hatte keinen einzigen Anzeigenplatz verkauft, keine Geschäftsbeziehungen geknüpft und keine networkingrelevanten Folgekontakte aufgetan. Es war klar, dass ich mir für das neue Jahr eine andere Tätigkeit suchen musste, mit der ich mir die Brötchen, das Klopapier und vielleicht sogar wieder ein Stück Würde ins Haus holen konnte.
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