Den Langen Atem
Er ging nach einigen Wein oft runter an den Strand, wo er halbnackt in die Brandung brüllte; in einem wilden Wechsel aus vorwärts-, seitwärts- und schweren Ausfallschritten im flachen Wasser dem Horizont höhnisch mit der blassen Senke seines Bauches entgegentänzelte, sich gelegentlich hinunterbeugte und in die Wellen drosch, als wäre es Herbstlaub.
In diesem rituellen Toben wirkte er ganz bei sich, ein kleines bisschen auch glücklich. Und doch schien hier ein Ventil geöffnet worden zu sein, das Zugang zu einem beständigen, lange gelittenen Schmerz herstellte. Sein kaum verständliches Jubeln und Juchzen, das er in den Nachthimmel über das Meer stieß, trug hier und da tragische Noten in sich. Gelegentlich klang es nach dem Namen einer alten, kaputten Liebe. Während er mit seiner Flasche Wein in der Hand herumgestikulierte wie mit einem Tambourin, krähte er immer wieder einen und denselben heiseren Namen in die Gischt, die von nichts wusste.
In diesen Momenten konnte niemand mehr zu ihm durchdringen. Oft stieß er erst eine Weile später wieder zurück ans Lagerfeuer – geschafft, ausgebrannt und ein kleines bisschen leichter. Wenn er dann etwas sagte, waren alle still. Sogar die Nacht hielt dann kurz den langen Atem ihrer weit gereisten Geräusche an.
Text & Photo: Martin Hiller
25. Juni 2011
Das Photo fand ebenso Verwendung im Projekt „Abeamsentpets“.