Interview: Martin Hiller im Gespräch mit Martin Holz
Dieses Interview erschien ursprünglich im April 2014 hier auf der Seite des Kunstprojektes „conquering places“.
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Interview mit Martin Hiller oder eine Frage von Martin Holz und zahlreiche Antworten.
Rain, Dear! – Recordings & Revelations, Huey Walker, The Splendid Ghetto Pipers: das sind alles Projekte und Arbeiten, die aus deiner Werkstatt kommen – und sie überzeugen. Gedehnte Loops, verbasste Stimmen und lomografische Ästhetik. Wie kam es dazu und was verbirgt sich hinter diesem Programm?
Ach, najanaja, dahinter verbirgt sich im Wortsinne eigentlich gar nichts. Es gibt nichts zu verbergen. Es soll da nichts verborgen werden. Es birgt vielmehr Versuche der Offenbarmachung oder Enthüllung. Weniger in so einem investigativ-aufdeckerischen, erklärbär-artigen, sondern eher in einem flötig-naiven Sinne von sensueller Über- und Durchrumpelung gemeint. Wie, wenn man eine blendend weiße Sahnetorte unter einem samtvioletten Vorhang enthüllt. Mit einem Liebespaar aus Marzipan und einer kaputten Spieluhr obendrauf. Musik für Flitterwochen mit alten Fantasyfilmen und drei Tagen Landregen irgendwo im Blockhütten-Off. Resultate der entdeckerischen Freude eines dummen Tölpels im Salzwind da draußen. In stetiger Aufschnappatmung. Rabimmel, rabammel, rabumm.
“Rain, Dear! Recordings & Revelations”, wie es dieses Preisgeberische schon im Namen trägt, ist hier als das kleine Do-It-Yourself-Label so eine Art Rahmen, eine Überschrift, eine Klammer, die diverses Schaffen umfasst. Auf dem Label erscheinen kleine Editionen handgefertigter Tonträger, deren darauf enthaltene Musik im instrumentalsten Sinne allem Un-und Vorversprachlichten versucht, greifhaft zu werden. Im Kern sind das derzeit mein musikalisches Alter Ego Huey Walker und das Freeform-Drone-Projekt The Splendid Ghetto Pipers.
Es geht hier um Musik mit langem, schwelgerischen “uuuu”. Um das Musische in allen Facetten. Vom Singen bis zum Saufen. Wie es sich, wie schon sagtest, dehnt und basst und als kalonkerndes Klanggewälk durchs eigene kleine Leben stimmgabelt. Ich suche das vollends Schlichte und Banale. Wir forschen nach Fahrstuhlmusik. Programmatisch in der Rahmenhaftigkeit, in Ziel- und Umsetzung in größtem Maße aber frei und psychedelisch – pampelmusisch.
Urgrund der musikalischen Veröffentlichungen sind recht klassische Bedroom-Rumpel-Recordings, die ich Ende der 90er und Anfang der 2000er skizzenweise auf Kassetten, später auch Computer aufnahm. Vom songhaften, schreiberischen Ansatz kam ich mit den Jahren mehr und mehr weg, hin zu experimenteller Improvisation. Weil am Schönsten ist ja eh immer das Machen, das freie Spiel, das Rausschwimmen, das Intuitive, das Nassforsche, das Ungestelzte, das Dümmliche, das Mustopfige, das gänzlich Unvereingenommene, an Außenwirkung erstmal Uninteressierte, rein erkenntnis- und erfahrungsinteressierte Ungefiltere, das Dokumentarische eines Prozesses. Deshalb sind viele der derzeitigen Aufnahmen und Veröffentlichungen auch ausdrückliche First-Take-Recordings, oft simpel raum-mikrofoniert, rumpelnd, ohne weitere Herumbastelei.
Jeder Saitenanschlag eine Strophe, jeder Hall ein Refrain.
In den ersten Versuchen steckt eben halt immer die unsauberste Technik, aber auch die tiefste Unmittelbarkeit. Im schnalzigen Abglitschen einer Saite, im Atonalen eines “fehlgegriffenen” Akkords, in seinen mitschwingenden Zwischen- und Obertönen, im näselnden Torkeln einer randomisierten Synthesizerpartitur – in all sowas stecken für mich die effizienten Schlüsselreize eines “aural excitements”. Hat hundertmal mehr Leben und Soul, als ein endlosmillionstes Overdub eines säuberlich gelickten Speckwestengniedelpickings.
(Video-Exkurs: Huey Walker – Autumn, And Another Year Over (2011))
Es geht ebenso um Reibung, wie auch um Transparenz; darum, ein hörerseitiges Mitgehen zu ermöglichen. Dass die Musik in der Entstehung festgehalten wird, man irgendwie mitwandern kann, Verläufe feststellen kann. Wie Landschaft die vor dem Zugfenster parallaktisch entlangscrollt, sich ihre wolkigen Baumwipfel als pastellene Striche vorbeiwirbeln. Es geht also klar auch um etwas Klangmalerisches, auch darum, dass bei allem klanglichen Geplätscher eine gewisse Irritation immer behalten bleibt. Maximale Erfolge mit größtmöglichem Minimalismus…
Natürlich bin auch ich für tolle, einfache Melodien und catchy Arrangements zu haben, schätze deshalb auch krude Rock’n’Roll-Nummern aus den 50ern oder irgendwelche schrägen Pop-Spleens sehr – spiele die aber immer gern auf falscher Geschwindigkeit am Plattenspieler ab. Diesen David-Lynch-artigen Hau, dieses hochromantisch Morbide, das das dann dadurch bekommt, schätze ich wahrlich sehr. Geht mir nahe. Bringt dottergelbes Licht in mein kleines Pfützenherz. Genau sowas produziert jene Reibung.
Mir geht es weniger um die Hookline an sich. Eher darum, das schwingende Gefühl, den inneren Nachklang, das beseelte Irgendwas, die innere Euphorie, das Gänsehaut gewordene Gefühl von Verwehung, das das siechende Tröpfeln einer Moll-Tonfolge in einem auslöst, festzufangen und beim Machen irgendwie selbst zu erleben, darauf herumzuschweben – im allerbesten Sinn: innere Meditation, psychedelischer Ritt, Sinneswellen in schwippschwappender Brandung, Synaesthesie, Farben im Sound. Saufen.
Immer auf der Suche nach dem ewigen Loop. Die Musik als Folge von Tönen und Tonwechseln, von über-, nach und nebeneinander gelegten Schallfrequenzen, von katzenhaft getatzten Akkorden, von orchestral in alle Richtungen schwemmendem Brei: all das – und dessen Ohr, Bauch und Herz bewurmende Qualität – irgendwie einfrieren als leiernde Schleife, die im eigenen Osszillieren ein Eigenleben entwickelt.
Der schleifenschleifbedingte Abrieb, die physikalische Arbeit im Sound, die Körnung und Struktur bringen dann die Variation. Man denke nur an die bis zum Zerschleiß gehörten Mix-Kassetten aus der Jugend, auf denen heute – zerzehrt von tausend Bandsalaten – oft nur noch ein schmirgelhaftes Resterauschen flimmert, das dabei jedoch in sehr deutlichem, unverrauschtem Maße konkrete Gefühle und Erinnerungsmomente, innere Zustände triggert. Die Romantik des Kaputtgehens. Matschiger Zauber und Klangfarbfeldmalerei. Vom Feeling her ein Gefühl wie ein Gedicht von Frank O’Hara, umgesetzt von Andy Kaufman.
Kurz und in unverhältnismäßig groben Tönen gesagt: hauptsache es ballert! Im tiefsten Innendrin – wie in moosigen Schiffsbäuchen mitgereiste Bummbumm-Echos ferner Orte.
Eigentlich ist die Form hier furchtbar egal – sei es also Musik machen, ausgedehnt Frühstück essen, was Literarisches tun, draußen Rumscharwenzeln an einem nebligen Märztag, sich mit einem Schleckeis in der Hand langweilen an öffentlichen Orten, irgendwas Malen, die Blumenvasen im Fenster neu anordnen – egal in welche Form man diesen inneren Beballerungsschub presst, man freut sich immer über die naturgemäß seltenen Momente der milden Extase, die den inneren Erlebnispark im öltankartigen Außenrum in Gang zu bringen vermögen.
(Audio-Exkurs: Huey Walker & Bassbees alias The Splendid Ghetto Pipers live in der Polly Faber, Greifswald (2012))
In vollster Konsequenz und zwischenmenschlich wechselwirkender Art und Weise (vier Ohren fühlen mehr als ein einsamer Klangfriemeleremit) wird all das Freischwimmerische – musikalisch – im Duo The Splendid Ghetto Pipers ausgelebt, das ich zusammen mit S. Rethfeld bestreite. Als Duo nehmen wir regelmäßig stundenlange Sessions auf, nehmen eigentlich sowieso alles, auch jeden Live-Auftritt und Bier in uns auf – destillieren daraus dann unsere Veröffentlichungen. Auf allen Ebenen ist das sehr psychedelisch, sehr frei, und gleichwohl auch immer konzeptuell. Grundlegend arbeiten wir immer auf Basis mehr oder weniger fester Vorgaben, die wir uns zur Aufnahme bereitlegen. Sei es also die Wahl der Instrumente oder ein bestimmtes Tuning am Instrument oder eine ästhetische Dimension, wie bspw. ein Wortfeld oder ein konkreter Arbeitstitel, etwas, das dem Experiment eine Richtung und eine Relevanz gibt.
Oder halt Bier.
Beim Musizieren selbst sind wir, in den schönsten Momenten, mit Hirn wenig anwesend, sondern leiern und eiern wie besoffene Frösche über unser Instrumentarium, rein aus Hypnotik und Hören die Töne und Schwingungen fließen lassend. Ich glaube jede Strickoma, jeder Töpferklaus und jeder Modelleisenbahner durchlebt genau ähnliche Zustände solcher kontemplativen Versenkung, wenn sie vollends in der eigenen Leidenschaft aufgehen. Die Banalität des Schönen. Man wird regelrecht skeptisch, wenn irgendetwas so superangenehm und schön ist, man erahnt geneppt zu werden. Dass ums Eck gleich wieder irgendein Arschlochgefühl oder eine Blödmannspflicht kommt. Trotzdem gibt man sich, bei all der Unrast, diesem hin. Man hält es fest. Man macht Tonträger. Man baut sich Umgehungsstraßen um den inneren Existentialismus. Man schafft sich Sinn. Ist nämlich alles gar nicht so schlimm! Palimm, palimm! Manchmal artet das alles dann in Arbeit aus und dann geht der Unsinn mit dem Wunsch nach Einfältigkeit wieder los. Eigentlich mache ich nur Musik, um nicht irgendein schlaues Buch schreiben zu müssen, haha.
(Video-Exkurs: The Splendid Ghetto Pipers – Die Gute Besserung (Release Date: Dec. 20th, 2013) from Rain, Dear! Recordings & Rev. on Vimeo.)
Es geht um völlige Hingabe, um ein Sichauflösen im kreativen Prozess, um innere Wandlung … herrjeh, jetzt wird es auf eine hippieske Art doch noch kafkaesk hier!
A propos Frösche: die Musik will hier etwas Schwimmendes, Laubiges, Raschelndes, Plätscherndes, Atmendes sein.
Alles Bewegungsmuster in der Natur, die alles andere als mathematisch und doch nie beliebig, sondern von irgendeinem Grundpuls durchwirkt und durch Wiederholungsstrukturen bestimmt zu sein scheinen.
(Audio-Exkurs: Huey Walker – My Heart Is In My Pocket (2012))
Richard Allen vom Musikblog “A Closer Listen” erkannte das in einer Rezension zu unserer Doppel-CD “Die Gute Besserung” für sich so:
The modern world attempts to control time through regulation and scheduling; but time makes its own rules, which include the complete ignorance of its own existence. Time is an artificial construct shaped by perception, and perception is the key to understanding this recording. The first disc moves and moves and moves, while the second disc loops and loops and loops. Is time stagnant, or is time moving forward? Are we stagnant, or are we moving forward? The title track contains so much mutation that it seems a different track by the end. Born in a bed of ambience, it goes to sleep in a field of drone. Launched in tone, it lands in abrasion. Thin notes grow fat. The pure grows distorted. And yet, none of these changes are drastic. While listening, one thinks of the tiny, incremental, often unnoticed changes that occur over the space of a life.
Es geht also weniger um ein Grooven im Sinne eines irgendwie superlässig dahergejammten Musikmuckertums. Es geht mir vielmehr um ein Wabern, ein Klingen, ein Pulsieren.
Um den musikalischen Moment, der genau dann der Musik ihre Tiefe gibt, wenn der Mensch nichts tut. Bekanntermaßen gehören die Pausen, die Leerstellen und die Stille zu den wirkungsvollsten Sinn- und Ästhetikgestaltern. Viel speist sich in dieser Musik hier aus Zufällen und Aleatorik. Effektketten und Fehler fungieren als Instrumente und Ereignisgeneratoren, mit denen wir dann arbeiten.
(Audio-Exkurs: The Splendid Ghetto Pipers – Die Gute Besserung (2013))
Die so entstehende Musik verstehe ich weniger als irgendwie kunstartefaktisch in den Alltag reingebautes oder drübergestülptes oder sonstwie hineingewölbtes Kunstwerk oder Anhörprodukt, sondern eher als irgendwie viel tiefer drinnen vernistete Arbeit von und mit Klang. Als alltägliche Wirklichkeit, als Rumgerumpel im Raum. Man sollte das Meiste davon auch ganz bewusst nebenbei hören. Beim Buch lesen, beim Aufräumen, beim Baden, beim Nichtstun, beim Rumreisen, beim Singen, beim Saufen.
Der immer lärmende Lärm, sei es Stadtlärm, Landlärm, der Blutlärm in den Venen, Leutelärm an öffentlichen Orten, Erlebnislärm in abendlichen Ausgehorten, all diese viele Laut- und Dollheit schürt in mir wohl eine Art Willen zum Gegengeräusch, zum Schaffen eines lindernden Gegentons zum täglichen Tiny-Toons-Tinnitus.
Vielleicht mach ich irgendwann auch keine Musik mehr, sondern sammle Kronkorken oder züchte Kolibiris oder sowas. Hauptsache es ballert.
Über Martin Hiller
geb. 1982 in Ludwigslust
aufgewachsen in Berlin
lebt und schlägt sich so durch in Greifswald
Diskographie
The Splendid Ghetto Pipers – “Die Gute Besserung” (2013)
The Splendid Ghetto Pipers – “I Just Want It To Be A Sound (Live at Ikuwo, Greifswald. April, 5th, 2013.)” (2013)
The Splendid Ghetto Pipers – “Withered Bloom” (2013)
The Splendid Ghetto Pipers – “Der Ball Ist Bunt” (2013)
Huey Walker & Bassbees – “Cute Obi Corms” (2012)
Huey Walker – “Chaussee, Nachts Ruf” (2012)
Lumières Claires – “Ellipsoid [Huey Walker’s Hummingbird Rework]”
(auf: Lumières Claiures – “Please Don’t Focus On My Mistakes. Please Don’t Focus On My Mistakes. Reworks”, 2012)
Lofi Deluxe – Slowfidelic Sparklectric Soundzine #1 (2009)
Lofi Deluxe – “Auf Reisen #2”
(Beitrag auf Sampler “klein stadt Groß – Schampus gibt’s woanders, 2009)
Lofi Deluxe – Dezemberdemos (2004)
Projekte
– Live-Auftritte als “Huey Walker” und mit “The Splendid Ghetto Pipers” u.a. in Greifswald, Rostock, Lärz, Berlin
– Veröffentlichungen limitierter Tonträger-Editionen auf eigenem Label “Rain, Dear! Recordings & Revelations”
– unregelmäßige Veröffentlichungen in Tageszeitungen, Magazinen & Blogs
– Radiotätigkeiten (“Zonic Radio Show Nord”)
– Mitgestaltung des CD- & Kunst-Samplers “klein stadt Groß – Schampus gibt’s woanders” (2009), in diesem Rahmen gemeinsame Ausrichtung verschiedener Veranstaltungen
Links
www.raindearrevelations.com
facebook.com/raindearrevelations
facebook.com/mrtnhllr
facebook.com/thesplendidghettopipers
raindearrecordings.bandcamp.com
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