Schaufensterschau-Journal #2: Mach Tee und hol den Tuschkasten, wir kriegen das wieder hin!
Vom 01. bis 06. Oktober 2012 findet in Greifswald das „Schaufensterschau“-Projekt statt. Künstlerinnen und Künstler erstellen im festgelegten Rahmen einer Arbeitswoche Werke für eine Ausstellung her. Huey Walker unterwirft sich als Musikmachender ebenfalls dem Diktat dieses Projekts und will – sich selbst zum Schaffen drängend – innerhalb einer Woche eine CD einspielen. Über den Entstehungsprozess berichtet er hier – schreibend, in Photos, Musik und Videos:
2. Eintrag
Mo. 01. Oktober, 22:27
Schwitzend die ganzen Gerätschaften ins Projektgeräum in der Polly Faber gewuchtet, Kabel gesteckt und versalatet. Hier die allererste Aufnahme, Video (Blick aus dem Studiofenster) und Ton (Raummikrofon) von meiner Digitalkamera aus dem Pleistozän.
Youtube sagt hierzu: “Wir haben festgestellt, dass dein Video eventuell verwackelt ist. Sollen wir dies korrigieren?“
Soweit kommts noch. Morgen sagt Youtube: “Wir haben festgestellt, dass in der Bridge zum zweiten Refrain eine 32tel nicht sauber im Takt ist. Sollen wir Frank Farian und sein Produzententeam nochmal drübermatschen lassen?“
Nix da.
Bisher noch keine Anwohnerbeschwerden.
Kunst im öffentlichen Raum
An dieser Stelle kann ich vielleicht nochmal kurz erklären, worum es hier gehen soll: vom 1. bis 6. Oktober treffen sich auf dem Gelände der Polly Faber in Greifswald sechs Künstlerinnen und Künstler, um innerhalb von einer Woche Kunstwerke zu erschaffen, die dann für ein halbes Jahr in leerstehenden Schaufenstern der Greifswalder Fleischervorstadt ausgestellt werden.
Vernetzung, Innenstadtbelebung, Eroberung des öffentlichen Raums, Förderprogramme sinnvoll einsetzen, zeitliches Limit, Zwangskreativität – um all das und noch viel mehr geht es in diesem Projekt mit dem Namen „Schaufensterschau“.
Das künstlerische Arbeiten als Solches soll auch öffentlich verfolg- und erfahrbar gemacht werden, die Kunstschaffenden schaffen ihre Kunst sozusagen also auch in einer Art Schaufenster.
Ich, für meinen hueywalkernden Teil, nehme – als siebtes Rad im Ensemble – auf dem Gelände der Polly Faber in dieser Woche Musik für eine bisher unbetitelte CD auf. Die CD wird voraussichtlich am 6.10. vor Ort erhältlich sein. Ein Sitzkonzert beschließt den Vernissagenabend, der ab 18 Uhr mit einer Schaufensterwanderung durch die Fleischervorstadt beginnt.
Public Art in direkter Publiktion
Eine Woche zwangsproduktives Kreativsein. Eremitenhaftes Laborieren im abgeschlossenen (und ebensogleich öffentlichen) Raum. Statt immer nur im Proberaum oder Zuhause am Lärmen, Rumwerkeln, Rumtüfteln und Schwarwonkeln sein, nun auch mal ganz schaufensterhaft einem zeitlich abgesteckten Entstehungszeitraum unterworfen. Es fühlt sich fantastisch an, ich habe große Lust darauf.
Dazu dieses Logbuch hier. Ich schrieb seit ca. fünf Jahren keine tagebuchartigen Sachen mehr. All das bedeutungsschwurbelige Web2.0.-Gerauschgesäusel ging mir beizeiten doch sehr auf den weichen Keks in meinem Kopf. Was soll man groß auch immer sagen. Egal, alle sagen immer ganz viel und oft ganz groß immer. Große Texte hier, großes Geschwafel da. Alle wollen immer groß ins Netz mit ihrem Text. Alle müssen groß. Groß raus. Wir müssen hier raus!
Rein in die Schaufensterschau.
Hier folgen in der nächsten Woche ganz unverschwurbelte (m.o.w.), reflektionsartige Einträge, eine Art Recording-Tagebuch. Am Ende steht dann die Musik: die CD im Schaufenster.
Und wahrscheinlich ganz viel Prokrastinationstext hier…
Wir werden sehen.
Kunst im Schaufenster
Heute: ewiges Verkabeln und Knöpfegewurschtel, dann paarnzwanzig Minuten ganz angenehme Aufnahmen gemacht. So Musikmachmomente, bei denen der ganze Raum ein bisschen mit abhebt. Sich die Klänge an allen Ecken, Wänden und Winkeln langmatschen, langmäandern, wellig zurückwalgen und alles ein dumpfbrummender Brummsumpf dann ist. Ein bisschen so, wie beim Liederspielplatz früher (wer es kennt). Als Kind hatte das mit seiner Mischung aus psychedelischem Kinderfernsehen, spielerischer Musikschule und bunter Pappmachébühnenkullisse jedenfalls eine seltsame, wenn auch distanzierende Faszination auf mich. Da sangen alle heiter und fröhlich zusammen, eine klingende Melange aus kindlichen Goldkehlenchören, klöppelnder Klanghölzertrance und den etwas stoischen, lehrerhaften Gitarrenpickings des schlacksigen Erziehertypen, der da zwischen den Marienkäferkindern umherstreunte – bis alles ganz goldig im Zusammenklang miteinander ein festliches Kollektivgehupe ergab. Und – bezeichnend schon wieder – auch der Liederspielplatz dachte schon das Performancehafte und Synästhetische mit! In diesem Videozeitdokument singen die nicht nur einfach ihre Lieder, nein, sie machen Theatralisches, Action-Painting und Ringelrei – für sowas gehen Leute heutzutage in Performanceworkshops und Urschrei-Seminare, um ihres vergrabenen Kindlichkeitsgeistes wieder habhaft zu werden, eine Art unverstellten Stellblick auf die Welt wiedersuchend.
Auf der Suche nach dem reinen Wundern an der Welt. In einer Art benjaminbuttonschen Rückwärtsromantik sich die ungefilterte Urbegeisterung am Ungekannten zurückwünschwurschteln wollen. Kinder und Betrunkene haben sowas ja: ganz eigene Reizfilter, die die Eindrücke vom äußeren Drumherum in ein staunendes Wundern umsetzen. Ein Wundern, wie jenes von kleinen Würmchen, die die Welt zum ersten Mal im Schnee sehen. So, als hätte schon wieder jemand über nacht eine neue Version davon hingestellt und man ausrufen möchte: „Mama, jemand hat hier alles kalt und weiß gemacht! Mach Tee und hol den Tuschkasten, wir kriegen das wieder hin!“
Dritte Session heute, kurzes Video, ausschließlich Mundharmonika:
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