Schaufensterschau-Journal #3: Überlegungen zur Nichtnervigkeit
Vom 01. bis 06. Oktober 2012 findet in Greifswald das „Schaufensterschau“-Projekt statt. Künstlerinnen und Künstler erstellen im festgelegten Rahmen einer Arbeitswoche Werke für eine Ausstellung her. Huey Walker unterwirft sich als Musikmachender ebenfalls dem Diktat dieses Projekts und will – sich selbst zum Schaffen drängend – innerhalb einer Woche eine CD einspielen. Über den Entstehungsprozess berichtet er hier – schreibend, in Photos, Musik und Videos:
3. Eintrag
Mo. 01. Oktober, 23:44
“draussen singen die vögel ein lied,
dass es nirgends zu kaufen, oder als download gibt”eigene notizen, 2007
Nach dem ganzen Aufgenehme den ganzen lieben und oftmals viel zu kurzen Tag, geht es nachts ja dann noch immer an die Hörsichtung des Materials, ans eventuelle Editieren und das Schneiden. Hierfür muss alles dann natürlich in Echtzeit gehört werden. Erstes Qualtiätsmerkmal ist, nach der ganzen Input-Sintflut des Tages, die Nichtnervigkeit. Das ist natürlich einigermaßen absurd und lässt nahezu vermuten, man sei auf der Suche nach möglichst reibungsloser, unangreifbarer, ja geradezu austauschbar-egaler Musik. Musik, die nach irgendwelchen in die Menschen eingebrannten Schemen und Mustern funktioniert und den Geist hinter dem Ohr in keiner Weise anspricht oder gar aufschreckt.
Dem ist natürlich nicht so. Nun, die Sache mit den Schemen und Mustern führte dann wieder zu rezeptionsphilosophischen Überlegungen, man käme auch zu unterschiedlichen Szene- oder Kulturkreisen und den ganzen, irgendwie immer angestaubt schubladenhaft anmutenden Unterscheidbarkeitsaufmachungen.
Doch wir wollen nicht rezeptionsphilosophisch werden, wir haben nämlich keine Ahnung davon.
Und DAS ist doch immer das Schöne auch. Keine Ahnung haben und sich vom Krampfeszwang befreien, zu glauben man müsste eine haben oder – schlimmer noch – so tun als ob man eine hätte. Dann doch lieber schön unbekümmert und doofdumm, aber mit dem reinem Gewissen eines Unverstellten aus dem sprichwörtlichen Mustopf kommen.
Als Kind muss ich ungefähr in allen Mustöpfen, die es gibt, gehaust haben. Es kam jedenfalls oft vor, dass kerlig-kernige Rauhbeinmänner den Spruch mit dem Mustopf droppten, wenn ich mal wieder im Träumerle-Land war. In der Fahrschule beispielsweise. Nun, Fahrschule ist nicht wirklich etwas, das man als Kind macht. Aber Kindheit ist schließlich auch ein dehnbarer Begriff. Und alle wollen doch sowieso immer Kind sein. Eine Ars-Vivendi-Zeitschriften-Binsenweisheit, wie der Dumpfglaube an die lebens- oder zumindest tagwerkgrundierende Qualität von Zitaten (die übrigens im blog jetzt hier immer („jetzt hier immer“, jottachjott) als vorangestellte Reinkommer funktionieren werden).
Es gibt Leute, die werfen mit Zitaten nur so um sich, haben ganze Zitatbücher, für jede Situation ein Zitat parat, gießen einen damit geradezu voll – Zitat, Zitat, Zitat. Ein Leben ohne eigene Worte und eigene Meinung. Ein Leben im Spaghat zwischen Zitat und Zitat. Solche Leute wollen oft auch “ein Leben lang Kind sein”.
Schwierig, da das Maß zu finden, das einen nicht allzu arg ins Rosamunde-Pilcher-Geschwafelhafte driften lässt.
Auch hier hilft das Altern.
Mit fortschreitender, altersbedingter Gedächtnissprödheit vergisst man all die Zitate. Nur das Kindsein hat sich mit einigen Erinnerungen an Lichtspiele, Gerüche und Fetzen von emotional erinnerten Gefühlssplittern fest ins Herz des menschlichen Altvogels eingebrannt. Als Sproß in einer Nussschalenschaukel, den der Mensch im tiefsten Spätwinter seiner letzten Tage wieder zum Keimen bringt. Saatgut der Seele. Die Blumen der Hirnspröden. Man kennt das ja: alte Menschen haben oft diesen Blick ins scheinbar Leere, tattrig, wie wattiert. Wahrscheinlich schauen sie sich hierbei nur den Film an, der vor ihren Innenaugen sich abspielt: “Kindheit”, der Filmfilmfilm. Ein Gernsehabend in der eigenen Erinnerung. Backflashs im eigenen Kopf, der Directors Cut.
Meine Güte, sind das schon wieder Rosamunde-Pilcher-Gedanken alles.
Solche Gedankenstreunereien passieren also, wenn beim Nachhören der gemachten Aufnahmen das Qualitätsmerkmal der Nichtnervigkeit gegeben ist.
Schön ist, wenn diese Aufnahmen einigermaßen genau dieses Gefühl wiedergeben zu vermögen, das beim Machen bestimmend war; sich als innerer Grundton wellenformpassgenau mit den Tönen und Zwischentönen der Musik zu irgendwas Tieferem, Klingenderem, Transzendenztauglichem verbrummband.
Und so war es gerade eben mit einer Endlosschleife aus zwei, drei Tönen, die in beständiger Unverändertheit ihr musikalisches Mantra von sich gaben, nur von unterschwelligem Umbaugerumpel (Gitarren ausstecken, Mikro suchen, Mikro einstecken…) durch Variation grundiert. Ein wiegenliedhafter Soundtrack für das nächtliche Nachbereiten, das Geblogge hier und das übliche, dummbräsige Internetsurfen.
À propos Wiegenlied: gute Nacht.
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