Zonic Radio Show Nord, 01.09.2011 – Kahle Outsider-Blues-Skelette, Cosmic Neu- und Alt-Folk … und Mäuse
Der Herbst, diese Herrenstrumpfhose unter den Jahreszeiten, raschelt sich mal wieder in seiner gedeckten Buntheit in die Straßenzüge. Kinder mit Riesentornistern zerwühlen leidenschaftlich die geharkten Blätterhaufen am Wegesrand, morgens hängt Nebel über den Regenrinnen und Igelfamilien scharwenzeln betulich durchs müllbehangene Wegesrandgestrüpp. Die Zonic Radio Show Nord mit Martin Hiller begeht am heutigen Tage eine kastanienduftige, musikalische Herbstgala. Kickende Igel-Snares, körniges Waldgewuschel und nappalederne Monotonie.
„The day with its cares and perplexities is ended and the night is now upon us. The night should be a time of peace and tranquility, a time to relax and be calm. We have need of a soothing story to banish the disturbing thoughts of the day, to set at rest our troubled minds, and put at ease our ruffled spirits“ (Samuel M. Johnson: Lovers on a Park Bench)
In das pittoreske Spiel der Farbumwälzungen des frühen Spätjahres fällt an diesem Donnerstag eine gar kosmisch-kreiselnde Ausgabe der Zonic Radio Show Nord. Mit neuen Veröffentlichungen der Trouble Books und Popol Vuh gibt es zweierlei Gruppen pulsierender Drone-Mäander zu hören – die einen aus dem Jetzt, die anderen aus grüner Wald-Vibes-Vorzeit, gewissermaßen als Mitwegbereiter dessen, was man dann irgendwann Kraut- mit welchen Suffixen auch immer nannte: -rock, -pop, -techno, -salat... .
Ein folk-verschaltes Herrengedeck: die trockenen Bluesleidenslieder des Jandek
Jandek, seineszeichens Repräsentant (hierbei wichtig zu erwähnen, da der Musiker sich nicht mit dem Künstlernamen gleichgesetzt wissen will, komplizierte Sache, konzeptionelle Strenge, lalilala) der Corwood Industries, veröffentlicht mit „Where Do You Go From Here“ sein ungefähr 78. Album. Seit nunmehr 30 Jahren maunzt, jault, twangt und bluest er sich durch die öden Brachlandschaften seines Inneren. Spleenige Mailinglisten versuchen dem Mysterium auf die Schliche zu kommen. Ist das nun also alles hart durchkonzeptioniertes, arty Outsider-Geonkel oder tatsächlich irgendwie otherworldly Bluesgerippe aus der durstigen Schrumpelseele eines vom amerikanischen Traum enttäuschten?
Otherworldly Odd-Blues
Im Jahr 2004 trat Jandek erstmals auch live auf. Seither teilte er die Bretter, die die Bühne bedeuten schon mit Indie-Hereon wie Mike Watt (Minutemen, fIREHOSE, Dos u.a.) und Loren Connors (auch schon mit Jim O’Rourke, Alan Licht und gar John Fahey musiziert). In 2011 ließ sich Jandek bereits handgezählte mehrere Male auf amerikanischen Bühnen blicken. Einige Live-Videoschnippsel sind bei youtube zu sehen. „Where Do You Go From Here“ knüpft ungefähr bei „Glasgow Monday“ einem Jandek-Album von 2006 an. Klavier, Flöte, Windspiel und ein roter Jazzfaden bestimmen die Stücke. Auf vielen seiner Alben rumpelt sich Jandek in dengelnd dissonantem Single-Notes-Gestolper durchs fruchtbare Ödland der Innerlichkeit (Musikrezensenten: die Erbauer der porösesten Vergleichslehmburgen…). Mehr einem stream of consciousness, denn einer festen Idee von Song folgend. In diesem Sinne ist Jandek immer schon im herkömmlichsten Sinne bluesy: ein Mann, seine Gitarre, seine Seele und was davon übrig blieb – alles latent out of tune.
Auch sein aktuelles Album ist eher als Stückreigen, denn als Songsammlung zu verstehen – alle Stücke sind schlicht mit „Part 1“ bis „Part 12“ betitelt. Regelrecht anschmiegsame, melodische Tongebilde entspinnen sich aus den Improvisationen, die allesamt einen luftigen, ja hippieesken Vibe atmen. In der Jandek-Welt ist dieses hier ein richtig schönes, gar nicht schwieriges Album. Das irgendwie Tragische und Auszeichnende an Jandek ist, dass er Feuilletonmusik macht, von der das Feuilleton keine Notiz nimmt. Vielleicht fehlt bisher auch ein zusammenfassendes Essay über das Ding Jandek. Egal, die nächste Jandek-Veröffentlichung mit der Katalognummer 0806 steht bereits in der Warteschlange.
Trouble Books mit krautigen Trabbelhooks
Die Trouble Books aus Cleveland, Ohio tauchten vor einigen Jahren mit einem kontemplativ funkelnden Space-Folk-Album auf. In Zeiten, in denen jeder Pups auf einem Anrufbeantworter als neue, weirde Folk-Verheißung gefeiert wird, stechen Keith Freund and Linda Lejsovka mit ihren ebenso psychedelischen, wie auch kunstbegabten Veröffentlichungen hier angenehm heraus. Statt kautzigem Mode-Gerumpel in banhartscher oder galloscher Blaupausenprägung greifen die Trouble Books ein ganz anderes musikhistorisches Wollknäuel am Faden und spinnen die krautige Wald-und-Wiesen-Psychedelia vergangener Jahrzehnte fort.
Nun spielten sie, zusammen mit Mark McGuire eine klangliche Kollaboration ein. Auf dem schlicht „Trouble Books & Mark McGuire“ betitelten Album schichten die Musiker hier, in flauschiger Spontancollage, Fläche auf Fläche und kreieren melodische Selbstläufer, in flaumigem Frequenzwolkenwetter dahinschwebend. Hier und da sind einigermaßen klassische Gitarrenläufe erkennbar, verschwinden aber alsbald wieder im süßen Brei aus Sound.
Vollkaleidoskopische Folk&Synthkaskaden
Keine Folkmusik im klassischen, volksnahen Storyteller-Sinn also, eher verhuscht-versponnene Soundwaben-Ineinanderstaffelung, mit Mitteln des Do-It-Yourself und letztlich – in Dimensionen von Lo-Fi und Kleinstlabel-Netzwerken denkend und operierend – irgendwie auch (Anti)-Folk.
Wenn sie dann alle miteinander in soothing Sounds und Scapes und Singsang verfallen, scheint der Spirit alter Klangkollektivisten wie Popol Vuh, Cluster und Co. auf. Schwummrige Wald-und-Wiesen-Klangfahrt. Zuweilen blitzen sweepy Effektschraubereien auf, leiern sich moogy Synthesizer-Verspulungen ins betuliche Geäst aus Musik. Weiches Valium-Feeling. Butterwiesenblumen. Große kosmisch-wandernde Droneverschleifungen mit glitzernden Synthesizer-Ausbeulungen und verschlängelten Gitarrengräten, die das Ganze krautig, hypnotisch, pulsierend nach vorn treiben. Acht wunderbare Klangstücke, erschienen bei Bark and Hiss / Wagon.
Wieder besucht und neu gemischt: Popol Vuh
Und wie es der Zufall (bzw. der hier Schreibende, als Freund von Verdrahtung und Verknüpfung) will, stehen Popol Vuh jetzt mir einer 2-CD-Retrospektive im Laden. „Popol Vuh – Revisited & Remixed 1970-1999“ vereint auf dem einen Silberling allerlei Stücke aus den im Titel eingegrenzten Schaffensjahrzehnten der Band und präsentiert auf CD 2 Reinterpretationen so namhafter Leute wie Stereolab, Mouse On Mars, Moritz von Oswald und Mika Vainio (Pan Sonic, Vladislav Delay Quartet, Orchestra Guacamole u.a.) – deren jeweilige Œuvres sich ohnehin stark beeinflusst zeigen, von den Freigeistern der Repetetivität und Monotonie, die nicht nur Popol Vuh (t Florian Fricke, Holger Trülzsch, Frank Fiedler und mit den Jahren eine Schar vieler anderer) und Co. einst aus den Kellern ihrer Synthesizer ließen – spinnen hier den Krautgroove konsequent fort.
Nachhören
Eine wiederholte Ausstrahlung dieser Sendung im August 2012 kann hier in der Mediathek der Medienanstalt M-V als Audiostream nachgehört werden.
Playliste
Johnny Cash – The Long Black Veil
Johnny Cash
CBS
Amir – Guernica
Vernissage One
Trapez ltd
Hey – Wuzlguzl Remix
Summer Of Seven 7″ 3/7
Pingipung
Jandek – Where Do You Go From Here: Part 2
Where Do You Go From Here
Corwood Industries
Jandek – Where Do You Go From Here: Part 5
Where Do You Go From Here
Corwood Industries
Senking – Untitled (B2)
Senking EP 12″
Karaoke Kalk
Trouble Books & Mark McGuire – Floating Through Summer
Trouble Books & Mark McGuire
Bark and Hiss / Wagon
Trouble Books – Shaky Science
The United Colours Of
Own Records / MIE Music
Trouble Books & Mark McGuire – Uploader’s Destiny
Trouble Books & Mark McGuire
Bark and Hiss / Wagon
Popol Vuh – Gemeinsam Aßen Sie Das Brot
Sei Still, Wisse Ich Bin
Innovative Communication / SPV
Popol Vuh – Gärten Pharaos (Dark Development Edit by Moritz von Oswald)
Popol Vuh – Revisited & Remixed 1970-1999
SPV
Popol Vuh – Nascita
Popol Vuh – Revisited & Remixed 1970-1999
SPV
Popol Vuh – Schnee (Flow Edit by Thomas Fehlmann)
Popol Vuh – Revisited & Remixed 1970-1999
SPV
Trouble Books – Ascending Kidney
Gathered Tones
Own
Lil’ Louis & The World – I Called U (The Conversation)
Roger Sanchez – Choice: A Collection Of Classics
Azuli
Greie Gut Fraktion – Mischmaschine (Late Dub by Soulphiction)
Rekonstruktion
Monika Enterprise
Louis Armstrong – What A Wonderful World
What A Wonderful World / Dream A Little Dream Of Me 7″
MCA
Talons‘ – Natalie
Songs For Babes
Bark And Hiss / Own Records
Talons‘ – Maddy
Songs For Babes
Bark And Hiss / Own Records
Talons‘ – Rachel
Songs For Babes
Bark And Hiss / Own Records
Donkey Princess – Same Song (feat. her Honkey Orchestra)
Live @ Golem, Hamburg
–
Donkey Princess – Mr. Vain
Live @ IKuWo, Greifswald, 26.08.2011
Erobique & Robag Wruhme – Hier Kommt Die Sonne
V. A. – Nachti Zehn Zoll 10″
Dancitee / MZIN / Nachtdigital
Mäuse – Nichts Ist Besser Als Gar Nichts
Nichts Ist Besser Als Mäuse
Angelika Köhlermann
Television Personalities – A Memory Is Better Than Nothing
A Memory Is Better Than Nothing
Rocket Girl
Talons‘ – Sam
Songs For Babes
Bark And Hiss / Own Records
Trouble Books – Tolans
Endless Pool EP 12″
MIE Music
Donovan – There’s A Mountain
Atlantis / There Is A Mountain 7″
Epic
Daniel Knox – Ghost Song
Evryman For Himself
La Société Expéditionnaire
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