Zonic Radio Show Nord, 03.02.2011 – Monotonie, Mollusken, Marvellers
Zonic Radio Show Nord, 03. Februar 2011
Für Heinz Strunk liegt das zentrale Wesen eines angenehmen Urlaubs in der geringstmöglichen Erlebnisdichte. Alles zähe Immergleiche zwischen den Nicht-Erlebnissen und die dann plötzlich doch noch auftretende Erlebnisdichte, schildert er in seinem Buch „Heinz Strunk in Afrika“. Die vom Autor gelesene Hörbuchfassung ist in gewohnt strunckerschem Intonationsirrwitz als 3-CD-Erlebnis jetzt beim Wort-Label tacheles! unter Roof music zu haben und fungiert in Auszügen als literarisch-laberhafter Opener der Zonic Radio Show Nord vom 3.2.2011.
Krautgeschürfe, Schupperplucker, Ambient-Industrial
Musikalisch-klanghaft geht es hier interkontinental von postrockend über housig bis krautig zu. Also alles wie immer. Viel mit vielem, alles mit allem, zerwirbelte Monotonien.
In die Rubrik „einmalige Konstellationskollaborationen diskografisch sonst recht rege miteinander verlinkter Musiker“ fällt die einzige 12″ von Jowe Head und Epic Soundtracks (die beiden Zitronengesichter links). Die zwei 1982 veröffentlichten 6-Minuten-Grooves „Rain, Rain, Rain“ und „Ghost Train“ sind monoton gehaltene Selbstläufer, deren Instrumentierung sich nebst herkömmlichem Gitarre-Bass-Geonkel auch aus der Verwendung von Autos und Radios speist. Auf „Rain, Rain, Rain“ steuert Carmel T. McCourt von den Soul&Jazz-Fusionisten Carmel obendrein die Vocals bei.
Ein Album mit Namen „Daga Daga Daga“ war für das selbe Jahr in Planung, erschien jedoch nie. Zwei Stücke der gemeinsamen Aufnahmesessions platzierte Jowe Head später auf seiner LP „Strawberry Deutsche Mark“. Weitere sechs davon fanden ihre Veröffentlichung auf dem Rerelease der Swell-Maps-Kompilation „Train Out Of It“ (Mute, 1991).
Postrock, Postjazz, Postfolk
Charles-Eric Charrier mischt auf „Silver“ zusammen mit Ronan Benoit und Cyril Secq grätige Gitarrenpickings, bassiges Gewummer und jazzhaft Freispieliges zu einem staubigen Post-X-Geschotter zwischen Postrock, Postjazz und Postfolk. Erinnert zuweilen an Currituck Co., Papa M und sowieso an John Fahey. Die fünf größtenteils aus First-Take-Spuren zusammengedubten Stücke mäandern zwischen Americana, Drones und Komposition.
Zusammen mit François Rasim Biyikli ist Charrier bereits seit den Neunzigern als Man aktiv. Dort zelebrieren sie einen Genregrenzen dehnenden, halbakustischen, manchmal sperrigen Art-Rock. Mittlerweile hat er es auf mehr als zwei Hände voll Veröffentlichungen und Kooperationen mit Leuten wie Rhys Chatham, Sid Toure, Mathias Delplanque, Rob Mazurek, Jérôme Paressant, The Clogs, dem Floating Roots Orchestra und Le Coq. gebracht.
Produziert hat dieses mal Taylor Deupree, dessen Album „Shoals“ im letzten Jahr sich hier bereits vorstellig machte.
Musik im Filmformat & Dadatroider Niedlichkeitshouse
Stuart Sweeney macht auf „16:9“ ziemlich dick aufgetragenen Ambient. In den guten Momenten erinnert das an Eno, Sigur Rós und asiatisches Teehausgeplätscher, in den belangloseren an Egalo-Synthesizering mit Pad-Flächen-Presets eines 20 Jahre alten Synthesizers von Hertie. Die Stücke tragen genregerechte Titel wie „Where The Shores Meet“, „Ascension“ (hat leider gar nichts mit dem ebenso benannten Stück von Glenn Branca zu tun) und „Cherry Blossom Falls“. Gut gemeintes Apothekenzeitschriftvokabular, prima Musik für ein Duftkerzenbad und Hobby-Feng-Shui. An solcher Musik können sich üble Streits über Ambient als Genre vom Zaun brechen. Kunst- oder Bedarfsmusik? Minimalstrukturiertheit als Faulheit des Komponisten? Fehlende musikalische Tiefe gleich unsystematisches Beliebigkeitsgeplucker? Keine objektiven Parameter? Die Enya- und Enigma-Falle? Gar noch schlimmer: Billo-Esoterik-Gedudel aus der Sparte Gregorian Chants!? Die ganz tiefen Abgründe umschifft Sweeney auf 16:9 glücklicherweise. Eine cinematoskopische Reise wert sind die Stücke allemal. Soundtrack statt Sounddreck.
Richard von der Schulenburg verdingt sich nun auch seit mittlerweile fünf Jahren als aktiver Club-DJ und tourt bspw. als Pudel-Resident mit seinen Deep-und-sonstwas-House-Scheiben über die Plattenteller. Etliche Mixe kursieren im Netz. Wie ja sowieso jede Knalltüte heutzutage Mixes postet. Mixposting statt Muckemaching. Produzieren statt Songs schreiben. RVDS kann beides. Zwei Alben mit Songs veröffentlichte er bereits unter seinem bürgerlichen Namen. Unter der Initialverknappung RVDS veröffentlicht er ebenso tapsigen, wie toughen House. Nach einigen EPs auf It’s und Terpsiton gibt’s am 18.2. jetzt sein Album „Moments“ zu haben. Acht verspielte House-Derivate, mittendrin die beiden Schieber „Clear Moments“ und „Acid Dream“ um die herum einige spirenzchenlastige, kürzere Stücke sowie ähnlich lang geartete Dadatroit-Nummern positioniert sind. Dadatroit – so die richardsche Wortschöpfung zum Sound. Sprich: sein Paraplü-Backenbarthumor, den er auf schulenburgschen Song-Alben zelebrierte, findet auch hier Niederschlag, als sanftmütiges Geflüster oder eben musikalische Niedlichkeitsturbulenzen.
Von Schiffsbäuchen und Unterwasserklangwelten
Kreidler bringen im März ihr neues Album „Tank“ auf bureau b raus. Sechs Stücke sind drauf. Von der ersten Minuten drückender, treibender Ambient-Industrial-Kraut, einerseits in seinem Stampf bedrohlich, in seiner analog produzierten Band-Ästhetik auch wieder einfangend, schiebend, organisch erhaben groovend.
Die Afro-Beat-Anleihen des Vorgängers Mosaik 2014 entspinnen sich weiter. Tobias Levin produzierte, Bo Kondren masterte.
Laut hören! Am formidabelsten wahrscheinlich in einem wuchtigen Schiffsbauch.
Von Mollusken und Marvellers
Plain Recordings veröffentlichte im letzten Jahr drei alte Ween-Klassiker neu auf bunten Schallplatten. Weens nautisches Themenalbum „The Mollusk“ von 1997 findet nun Wiederklang auf türkisgrünlich muschelmarmoriertem Vinyl. Der Ween-typische Fäkal-Blödel-Dampfhammer mit zappaesker Stilvielfaltsdisziplin zeigte sich hier etwas zurückgetretener und aufgeräumter. Die in alle Richtungen durchgekauderwelschten Stilspleens der frühen Ween-Alben haben sich hier zu großen Themen-Songs aus nautischen Gefilden auselaboriert. Es gibt Seemans-Chantys, kaputtes Vaudeville-Gestelz und weich-verschalten Sepiaschalen-Folk. Krustig und muschlig geht es her, hybrid in seiner Zusammenbringung von Sound-und-Sample-Spielereien und traditionell geartetem Songwriting. Eine kurzweilig blubbernde Unterwassermusik mit far-off märchenhaftem, wie fernweltenem Verheißungspotential. Die Romantik des Unbekannten, lalilala.
Von den Marvellers zu Toni Mahoni
Das auf „The Mollusk“ ebenso enthaltene, penisschleudernd country-rockistische „Waving My Dick In The Wind“ bildete vor gut zehn Jahren, als sich das alte ins neue Jahrtausend umverwandelte, ein zentrales Element bei Live-Konzerten der ehemaligen Marvellers.
Die Marvellers waren eine niedliche Homerecording-Kombo die es mit eleganter Unkompliziertheit, smartem Nerd-Crooning, wimpy Lofi-Folk und stilsicheren Quatschmacherqualitäten zu einer Art marvelösem, sprich fabelhaftem Mini-Kult auf Berliner Bühnen brachte.
Mitgetriggert durch Dirk Schade und seine im FAB ausgestrahlte Sendung „Pick-Up“ spielte sich damals eine ganze Bande von Bands in sämtlichen süd- und ostberliner Jugendkulturzentren die Finger blutig – Knorkator, Silent Noize, SPN-X, Elikan Dew, Elvira und wie sie alle hießen. Viele Bands waren schulisch vernetzt, die Schülerzeitung Unbunte trug Wissenswertes und Laberhaftes darüber in handkopiertem A5-Format in die Klassenzimmer von Treptow und Köpenick. Musikalisch reichte das alles von Schülerbandrock zwischen 4 Non Blondes und den Abgewöhnungsprollromantizismen von Creed, bis hin zu echtem Hardcore und gewieftem Beat-Pop. Radio Fritz griff die Vibes auf und spielte allwöchentlich in den Popagenten (ehemals Radiosendung von und mit u.a. Max Spallek, jetzt Musikverlag) neue Selbstveröffentlichungen, die man ja, dank immer erschwinglicher werdenen CD-Brennern und den elterlichen Tintenstrahldruckern auch daheim, ganz DIY, aber trotzdem neumodisch auf CD, selbstorganisiert realisieren konnte.
Es war noch die Zeit von Web 1.0., die Webseiten kamen als MS-Frontpage-Debakel oder, wenn im Freundeskreis ein internetaffiner Programmierer zu finden war, als liebevoll ausgebaute Frame-Basteleien daher – nicht selten auf snafu-Webspace. Von vielen kursieren noch Reste im Netz.
Manche machten dann auch sowas wie Karriere, hielten sich, wie Knorkator, ganz gut in vieler Leute Ohren oder schlitterten, wie Sofa Planet, in die One-Hit-Wonder-Falle. Von manchen weiss man gar nichts mehr, wahrscheinlich verloren im Erwachsenheitsnirvana.
Die zwei Beiden der Marvellers ließen ihr musikalisches Baby nach ein, zwei Veröffentlichungen auch so langsam ausdümpeln.
Rico Baade alias Lofi Emulator, auch damals schon der Frickler der Band, macht jetzt irgendwas mit Musikequipment und -produktion, programmiert VST-Plugins oder sowas und mischte auch im Dunstkreis vom Bungalow-Label mit.
Toni Santowski, bei den Marvellers als eine krude Mischung aus Andy Kaufman, Tom Waits und Tiny Tim agierend, friemelte eine Zeit lang ursüßes Zeugs, Pokale beispielsweise, aus Plastilin-Knetmasse zusammen, schuf sich mit Toni Mahoni nebenher aber im Halbverborgenen des Internet-Content-Overloads eine urberlinische Kunstfigur zwischen Marlon Brando, Fiete vom Kiosk und Kanarienvogelzüchter-Onkelei.
Seine minimalistischen Videocasts, in denen er sich monologisierend über allerhand Alltagsschrullen ausließ, wurden alsbald schnell zu einem Dauerbrenner bei Spreeblick., dem blog von Johnny Haeusler, der in den Achtzigern die New-Wave-Rocktruppe Plan B mitbegründete und in den Neunzigern einen stilsicheren Abend-Soundgarden bei Fritz modierte.
Toni Mahoni traf den Zeitnerv mit seinen gekodderschwafelten Blogvideos mit sowas wie kecker Feel-Good-Welterklärungsschläue und einer friedrichshainischen Unverdrießlichkeit. Aus den, dort immer wieder eingebauten Spontansongs, entwickelte sich ein Sammelsurium von Liedern, die nach Veröffentlichung schrien. So erschienen mittlerweile zwei Alben von Toni Mahoni, eingespielt mit Leuten aus dem Umfeld der Marvellers und Erik & Me.
Die Thematik bietet sich eigentlich an, ausgiebiger behandelt zu werden, alte, grieselige VHS-Mitschnitte von „Pick UP“ rauszukramen, alte Flyer zusammenzusammeln, sich dem ganzen putzigen Schnuffel-Indie-Ding von damals mal wieder hinzugeben. Vorerst muss das hier reichen. Die Playliste der Sendung folgt im … Folgenden.
Nachhören
In der Mediathek der MMV kann man die Sendung nun für mindestens zwei Wochen nachhören.
Playliste
Heinz Strunk – Bleierne Zeit (exc)
Heinz Strunk In Afrika
tacheles! / Roof music
Lambchop – The Daily Growl
Is A Woman
City Slang
DJ Koze – Blume Der Nacht
Rue Burnout EP
Pampa
Phantom Ghost – Clouds Hill
Three
L’Age D’or
Phantom Ghost – The Shadow “Im Schutt” (III) By Pantha Du Prince
Four Shadows
Dial
Dusty Springfield – I Think It’s Gonna Rain Today
Dusty… Definitely
Philips / Mercury
Stuart Sweeney – Cherry Blossom Falls
16 : 9
Oomff
Charles-Eric Charrier – 9 Moving
Silver
Experimedia
RVDS – Rainy Day
Moments
It’s
RVDS – Clear Moments
Moments
It’s
Matmos – Lipostudio… And So On
A Chance To Cut Is A Chance To Cure
Matador
Kreidler – New Earth
Tank
Bureau b
Kante – Paradizer (April & Seasons Blank-Mix)
Redirections
Stewardess
Christiane Rösinger – These Days (Remix der Begonischen Bedarfsgemeinschaft)
Original auf: Songs Of L. And Hate (Staatsakt)
–
Galerie Berlintokyo – Komm An Den Ofen
Komm An Den Ofen 7″
Spielkreis
Philippe Cam – Unicef Christmas Card
From Lagoon West
Traum Classics
Heinz Strunk – Bleierne Zeit (Exc. 2)
Heinz Strunk In Afrika
tacheles! / Roof music
Soundtracks & Head – Ghost Train
Rain, Rain, Rain / Ghost Train 12″
Rough Trade
Epic Soundtracks – There’s Been A Change
Sleeping Star
Normal / Bar None
Timothy Prudhomme – Love Me, Love Me Not
With The Hole Dug
Smells Like Records
Ween – Polka Dot Tail
The Molusk
Plain Recordings
The Marvellers – Winter Covers World
theMarvellers!
self released
The Wailers – She’s Coming Home
Spacelines – Sonic Sounds For Subterraneans
Munster
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