Zonic Radio Show Nord, 15.07.2010 – Zilpzalp, Schachtelhalm und Trafomasten
Ein Flair von Brathähnchen und Legebatterien weht über die Strände. Vor den Theken der Strandbars scheuern sich Schmärbäuche an halboffenen Hawaiihemden. In Freiluftbädern hauen sich Hitzige die Köpfe ein. Der Teer auf den Straßen dampft und wirft Blasen. Zeit der Ernte. Zeit der Feuerwanzen. Die 99cent-Flip-Flops rutschen bei jedem Schritt unter den Füßen weg. Hundstage.
Nachts wird es kaum anders und auch kaum kühl. Regelrechte Krötennächte.
Dass es überhaupt sowas wie Winter gibt, eine Jahreszeit, in der alles ganz kalt und jeder See zugefroren ist, scheint einigermaßen unmöglich – ebenso wie natürlich der Umkehrschluss, der Sommer aus Wintersicht betrachtet.
Die heutsommerabendliche Zonic Radio Show Nord sendet Musik wie flimmerne Luft und ferne Verkehrsgeräusche in den teerwarmen Äther.
Nils Koppruchs erste Auskopplung aus seinem neuen Album nennt sich „Kirschen (Wenn Der Sommer Kommt)“ und besingt die Jahreszeit mit einer adretten Mischung aus Sommerfrische, Rumtreiberspleen und Hank-Williams’scher „I’ll Never Get Out of This World Alive„-Attitüde.
Sein neues Album „Caruso“ erscheint im August, dem Monat der Goldähren und Feldentstellung. Es ist sein zweites Soloalbum nach Fink, die in den Neunzigern neben Bands wie Cow, Halma und dem Jim Wayne Swingtett mal das mitprägten, was sich selbst – um die Blödsinns-Formel „Alternative Country“ zu umgehen – „Kantrie“ als Genrebegriff schuf und auf dem Rundumschlags-Sampler „Land of the Kantrie Giants“ musikalisch zementierte.
Nachdem Fink gegen Bandende Experimente mit Sampling wagten und eine Art grobgeschnitzten Electro-Shuffle-Folk kreierten und Koppruchs erstes Soloalbum „Den Teufel tun“ ungewohnte Düsternis verströmte, stimmt die erste Singleauskopplung des neuen Albums wieder altbekannte Songwriter-Klänge zwischen Americana und Rumpelchanson an. Gleichermaßen schmissig wie mürrisch.
Andere Sommerwinde umwehen den „Peeling“-Sampler aus dem Hause Gaarden Records. Keineswegs als jahreszeitliche Konzeptkompilation gedacht, vertont es mit seinem ausgeprägten Hau ins Ambientlastige aber doch ganz trefflich die flimmernde Schwüle und stehenden Luftwalzen, die die meteorologischen Konstellationen dieser Tage so mit sich bringen.
Auf dem besiebdruckten Machwerk kommen DIY-Frickler und Bedroom-Producer wie Dustin Wong (ehemals Ecstatic Sunshine, jetzt Ponytail), Et Ret (früher Burd Early, dann ein Album auf Western Vinyl, seitdem Funkstille), James Urick (Elektro-Drone-Hypnosen aus Baltimore, auf Thrill Jockey) und die Lexie Mountain Boys (all-female Acapella-Varieté) zusammen.
Ebenso steuert Matthew Robert Cooper ein Stück unter bürgerlichem Namen bei. Üblicherweise veröffentlicht er unter dem Alias Eluvium, im April gerade erst sein letztes Album „Similes“. Wie seine vorangegangenen Veröffentlichungen war auch dies beartworkt von Jeanny Lynn Paske, deren verhuschte Weichzeichnungen zwischen Gremlin-Niedlichkeit und sanftem Surrealismus, die perfekte bildliche Entsprechung zu seinen tiefmelancholischen Neoklassik-Drones und Ambient-Operetten sind.
Charles Stanyan, ebenfalls auf „Peeling“ vertreten, nimmt sich auf seiner EP „Shipwreck Joy“ Stücke von Matthew Robert Cooper, Ponytail und Madagascar vor und manipuliert, retuschiert und zerstückelt sie live von Vinyl. Tonarm und Nadel arbeiten hier hörbar am Material, es knistert und knarzt verwegen – jenseits irgendwelcher sequenzierten Patternkorsette.
Sinebag aus Leipzig kreiert in seinen Akustik-Sound-Gebilden zwischen Field Recordings und Folkandeutungen ähnlich ungreifbare und dabei doch ganz gegenwärtige, headphone-affine Klangkaleidoskope. Klangkinematografien von Berg und Tal. Tempo und Anti-Tempo. Techno und Zilpzalp. Lappen und Seife. Scheuern und Schrubben. Vertonte Frühstückskrümel und Trafomastenromantik. Klopfzeichen, Keiner da. Im Sandkasten Förmchen, vom letzten Jahr noch.
Durchwirkt ist dieser Sack aus fliegend-flüchtigen Tönen von 4/4-Wahnwitz-Grooves in nichtgewellter Postpunk-Ästhetik. Dieses mal walzern sich unter anderem Peter Gordons Love of Life Orchestra, Coato Mundi und Offen-Ozeanisches aus dem Hause Ocean Club unter die oben erwähnten Schachtelhalmmusiken.
Zonic Radio Show Nord
Zilpzalp, Schachtelhalm und Trafomasten – Groovetransmitter und Geräuschgewitter
Do. 15. Juli 2010, 20 Uhr radio 98eins
Playliste
Nils Koppruch – Kirschen (Wenn Der Sommer Kommt)
Caruso
Grand Hotel van Cleef
Johnny Thunders – As Tears Go By
V. A. – Gimme Shelter Vol. 2
Uncut
Marie Bryant – Don’t Touch Me Tomato
V. A. – [Komfort.Labor] Presents Ocean Club
WMF Records
Thomas Fehlmann – I Wanna Be A Little Fishy
V. A. – [Komfort.Labor] Presents Ocean Club
WMF Records
Coati Mundi – Palabras Con Ritmo
V. A. – Downtown 81
Recall
Grünbox – Zoomba
Share The Bong
Trapez
Sinebag – Weiche Formen
Milchwolken in Teein
Ahornfelder / Pulsmusik
Bexar Bexar – Lions
V. A. – Peeling
Gaarden Records
A Different Jimi – 1753 Angelo
I Don’t Know Why You Say
It’s
Peter Gordon & Love Of Life Orchestra
Another Heartbreak / Don’t Don’t Redux / That Hat – 12″
DFA
Et Ret – Today’s Cake
V. A. – Peeling
Gaarden Records
Sinebag – Bonferroni Telefon
V. A. – Polyphonal
Delirious Riot
Place Called Space – Room
1st Mini Album
Gyuune Cassette
Dash! – Icicle Breath
V. A. – Peeling
Gaarden Records
Eluvium – Swallows In The Bath
Life Through Bombardment
Temporary Residence Limited
Sinebag – Natur Elektr
Milchwolken in Teein
Ahornfelder / Pulsmusik
Parks – Lament
Hidden
Infraction Records
Applescal – Black Spirals (Nuno Dos Santos Feat Pien Feith Remix)
A Mishmash Of Changing Moods Remixes
Traum Schallplatten
Matthew Robert Cooper – Radial Summer / Signal Evening
V. A. – Peeling
Gaarden Records
Matthew Robert Cooper – Miniature 2 (Charles Stanyan – Sage’s Exacto Remix)
Charles Stanyan – Shipwreck Joy: Remixes From Vinyl
Gaarden Records
ANBB – Electricity Is Fiction
Ret Marut Handshake
Raster Noton
Soul Center – J.B.
V. A. – [Komfort.Labor] Presents Ocean Club
WMF Records
Efdemin – There Will Be Singing
Chicago
Dial
Lofi Deluxe – Eisessen bei Regen
B-Sights
– / Eigenvertrieb