Zonic Radio Show Nord, 17.02.2011: Größenwahn, Autotune-Affinitäten & gebeutelte Sinuswellen
Andreas Dorau, dieser gecke Beau, sich edel bewegend zwischen Ata Tak-Avantgarde, neckischem Blaumeisenpop (vgl. hierzu den von ihm vertonten Text „Blaumeise Yvonne“ von Wolfgang Müller) und angenehm stumpfem 90er-Eurodance bringt im Juni, sechs Jahre nach „Ich bin der eine von uns beiden“, sein neues Album heraus. Es trägt den wahnwitzigen Namen „Todesmelodien“.
Der erste Vorgeschmack nennt sich „Größenwahn“. Namen wie Vorreiter einer Sintflut. Kawumm, Padautz und Tusch. Musikalisch geht es Dorau in der Vorab-Single megalomanisch und übermütig an: Beach-Boys-Harmonien, ausladende Chöre und muntere Xylophon-Einstreuungen. Lalalala-Musik. Angenehme Stumpfheit, die sich aus ulkiger Verdrehtheit ohne aufgesetztes Geistreichheitsgetue nährt – dabei doch mit hintersinnig verzwiebeltem Humor.
Und überhaupt, Zwiebeln: sein erstes Album ist dreissig Jahre alt und nannte sich „Blumen und Narzissen“, veröffentlicht unter dem Bandnamen „Die Doraus und die Marinas“. Dorau hatte damals sechszehn Jahre auf seinem Pfarrerssohnesbuckel, hatte in Holger Hiller so eine Art Postpunk-Mentor, und landete mit „Fred vom Jupiter“ einen Hit in der Gischt der Neuen Deutschen Welle. Danach musizierte er sich durch allerhand Spiel- und Stilarten, taperte durch die Künstlerkreise um Albert Oehlen, krawallte mit ebendem musikalisch als die Evergreens of Psychoterror herum, wirkte auch bei „Malefactor, Ade“ von The Red Krayola mit und hatte in den Lustigkeitsvibes von Eurodance und Synth-Pop der 90er wieder einen kleinen Hit mit „Das Telefon sagt du“. Das Stück zementiert die anheimelnde Friedlichlichkeit und das Verheißungspotential eines simplen Dauertons aus der Welt der Telekommunikation in pure Popform. Ein weiteres Musik gewordenes Kleinod im weiten Themenfeld „Sehnsuchtstrigger Telekommunikation“. Die Pop Tarts besangen Ähnliches in „Turn My Radio On“. In ein paar Mußestunden müsste man mal die Historie von Songs erkunden, die die Thematik der Verlockungen eines postalischen und technischen Mit-der-Welt-vedrahtet-seins aufgreifen. Stichwort: „Please, Mr. Postman“ (Marvelletes / Beatles), „Telefonmann“, „Kein Schwein ruft mich an“ bis hin zu den robotoiden Mensch-Maschine-Verquickungen von Kraftwerk und Populärphilosophischem über Computer wie ebenso – „Computer“ – betiteltes Stück von Station 17 oder eben die „Computerliebe“ von Paso Doble, die ja dann als Hit durch Das Modul in genau dem Fahrwasser erfolgreich war, in dem auch Doraus Telefonlied schwamm.
Eierlegende Verquickungswollmilchsau
Verquickung ist auch das, was James Blake auf seinem jetzt vorliegenden, ersten Album betreibt. Dubstep, Soul und Electronica. Autone-Vocals in Zwischenpatternpausenräumen. In modernen Passagen klackern hier schürfende Dubstep-Beatphrasierungen unter gefiltert-verhallten Sweeps’n’Swamps, es gibt aber auch ursoulige, puristische Stücke, die kaum mehr benötigen als einen warmen Wurlitzer-artigen Synthesizer und James Blakes far-off Säuselstimme.
In genau diesen Momenten, wie beim sehr kurz gehaltenen, „Give Me My Month“, scheint der Schmelz einer Nina Simone, updated ins Jahr 2011, heraus. Aufgewachsen ist der 22-jährige dabei aber eher mit dem R’n’B von Kelis, Aaliyah und Timbaland, bei denen er sich sampelnd noch auf seinen ersten EPs bediente. Auch eine musikalische Prägung durch D’Angelo klingt hier an. Der entwarf in den neunziger Jahren einen geschmeidigen Neo-Soul in der Form, dass man auch mal wieder ein überstrapaziertes Prädikat aus der Mottenkiste holen darf: smooth, das war schon wirklich smooth.
Im letzten Jahr veröffentlichte James Blake diverse EPs und remixte unter anderem für Mount Kimbie. Einen ausführlichen Artikel zu James Blake gibt es von mir hier bei der Jungen Welt zu lesen.
Herzschatten
Am 14. Oktober 2009 las Stephan Rethfeld im Café Koeppen eigene Texte vor. Lofi Deluxe bereitete die musikalische Kulisse. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Vernissage der Ausstellung von Nanne Springer statt. Sie stellte Fotografien, inspiriert durch Rethfelds Texte, aus. Trotz technischer Eigenwillig- und Schwierigkeiten konnten Teile des Mitschnitt gerettet / rekonstruiert werden und finden in Auszügen jetzt Ausstrahlung in der Zonic Radio Show Nord.
Alexander Schubert hat zwei Alben unter dem Alias Sinebag herausgebracht. Jetzt veröffentlicht er unter bürgerlichem Namen eines mit dem Titel „Alexander Schubert plays Sinebag“ (2011, Ahornfelder).
Soundkunst aus dem Sinusbeutel
Die von den Sinebag-Alben bekannten Verstrickungen von Field Recordings, Folkroots und Laptop-evoziertem Glitch’n’Stutter werden auf den vorliegenden sieben Stücken um Freejazz, besoffene Piano-Parts und kaputtzerhackte Vokal-Schleifen erweitert. Das rastlose Freispiel, das er mit Christian Lillinger, Oliver Schwerdt und dem Schweizer Saxofonisten Urs Leimgruber, im Kollektiv Ember zelebriert, findet hier deutlich mehr Niederschlag. Zudem ist neben den bereits bekannten Versonnenheitsliebäugeleien ein deutlich mehr nach vorn gestellter Hang zu audiophiler Tiefenmontage erkennbar.
Während die Sinebag-Alben noch von einem murmelmalerischen, in Folkgitarrenmustern wurzelnden Grundton geprägt waren, präsentieren sich die ausufernden Stücke des neuen Albums auf Soundebene in kristalliner Tiefenschärfe. Die somnischen Geschlurfskizzen zwischen sirrendem Sinus-Gefiepse, gluckernder Found-Sound-Schmelze und granulierten Popschnippseln aus Sinebagzeiten klingen auch hier an, entwickeln sich im Verlauf der drei zentralen, langen Stücke des Albums aber zu energetischen Übereinanderwürfnissen zwischen Jazz und Jingle-Jangle, deren klangliche Mehrdimensionalität in ihrer raumdimensionalen Sortiertheit dabei nie auf den Senkel geht und mit kompositorischem Eigenwillen der Beliebigkeitsfalle gekonnt aus dem Weg geht. In „Semaphores“ walzert sich ein kratziges Gitarrenpicking über hölzern-hochfrequente, im Zaum gehaltene Rückkopplungsschleifen und sumpfig wummerndes Bassgebüsch. „A Few Plateaus“ freejazzt sich in wildem Gestolper durch Double-Bass-Andeutungen, verspulten Glitch-Eskapaden und schlagzeugerndem Freispiel und dockt damit beim Jazzband-Sound vom bereits erwähnten Improv-Kollektiv Ember an. Wenn sich hier gegen Ende noch zerdehnte Gesangsandeutungen durch hölzerne Quietsch-und-Knautsch-Schleifen wühlen, bekommt der bunte Viertelstündler noch einen Hau ins Weird-Freefolkige. „Vowels“ wiederum ist verhuscht pluckerndes Sine-Wave-Geglucker, das die septembersonnengelbe Audiopatchwork-Rhythmik an der Schnittstelle zwischen Sound, Geräusch und Musik der beiden Vorgänger „Milchwolken in Teein“ und „Près De La Lisière“ erinnerlich macht.
Vor 40 Jahren schon: Randnahe Synthesen von John Fahey
Die progressive Synthese von Experimenten mit Noise-Andeutungen, Sounds und Field Recordings, zusammengedacht mit ur-folkigen Gitarrenmustern, betrieb John Fahey bereits vor 40 Jahren. Am 28. Februar wäre er 72 Jahre alt geworden. Am 22. Februar jährt sich sein Todestag zum zehnten Mal. Seine Musik beeinflusste Musiker wie Jim O’Rourke und Loren MazzaCane Connors. Von letzterem wurden jüngst die beiden alten Alben „Hell’s Kitchen Park“ (1993) und „Moonyean“ (1994) beim holländischen Reissue-Label Enabling Works wiederveröffentlicht. Dazu alsbald mehr an dieser und an Radiostelle, in der Zonic Radio Show Nord.
Songs we’d like to hear on elevators
Lullatone veröffentlichen, nach ihren jüngst dort erschienenen „Looping Lullabies“, jetzt bei bandcamp ein neues Mini-Album mit 10 Songs, denen sie nach eigener Aussage gern in Fahrstühlen lauschen würden. Nichts läge näher als das Digital-only-Album also „Elevator Music“ zu nennen. Fahrstuhlmusik ist mancherorts ja Schimpfwort. Anders aber, nämlich als Muzak benannt, subsumiert es als Genre eine Unzahl zumeist leider unentdeckter Kleinode zwischen Kitsch, schiefgelaufenem und deshalb herzhaft niedlichem Gigantismus und funktionallem Konzeptgelulle.
Die zehn Stücke mit Namen wie „Whistling in an Office“ und „A lot of People Cutting Grass on a Sunday“ sind kleine, verspulte Soundtracks für eine Stop-Motion-animierte Hello-Kitty-Playmobilwelt, gefilmt auf Super 8. Die musikalischen Urkoordinaten liegen hier bei Popmusik in seinen goldigsten Ausprägungen von Twee über Stereophonic-Japan-Hipster-Sounds bis zu zuckerglasiertem Frenchpop zwischen Bardot und Burgalat. Lullatone kreierten auf früheren Alben aber auch einen sehr versierten Ambient-Field-Recording-Folk mit holzigen Klangfarben aus Xylophon, Toypiano und verhutzelten Mini-Bläser-Arrangements. Der eigene Spielzeuginstrumentenfundus wurde für das Video zu „Walking on the Sidewalk“ dann auch entsprechend in Szene gesetzt:
Susanne Amann und Michael Klauser aus Wien machen zusammen als Rotterdam treibenden Analog-Techno. Krautig, trocken, schuppig schlackern und sägen die Bögen über das Cello und flöten flüchtige Töne aus hechelnden Holzbläsern. Kraftwerk im Herbstwald.
Ihr erstes Album „Cambodia“ ist jetzt bei Everestrecords erschienen. Die Produktion ist hölzern und klar, der analoge Ursprung der Sounds in echten Resonanzkörpern ist hörbar; die technischen, repetetiven und monotonen Arrangements geben dem dann jedoch wieder etwas robotoides, krautiges. Hypnotisch pulsierender Techno aus dem Holzhouse, ohne Spirenzchen, dafür mit umso mehr Groove. Die psychedelische Dimension, die Musik mit einem solchen Ansatz ((Meint: Übertragung / Anwendung von modernen Minimalismusmustern auf klassische Instrumente, mit Rückbindung an musikalische Feldforschung, wie sie vor Techno betrieben wurde. Wie bspw. auch Beak> oder Jane (Seitenprojekt von Noah Lennox vom Animal Collective zusammen mit Scott Mou) ultra-trockenen Neo-Kraut auf analogem (Lo-Fi)-Equipment fabrizieren. Man höre bspw. den 23-Minuten-Improv-Grower „Coconuts“ von 2005.)) anstrebt, offenbart sich hier gerade im Weglassen von mindblowing Klangrauschräumen. Eine dringliche Bestimmtheit liegt in den eher unaufdringlich produzierten Dauerlaufloops. Musik zum Zwiebeln schneiden (da sind sie wieder, die Zwiebeln!), Holz hacken und natürlich Musik zum „fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Au-to-bahn“.
Nachhören
Die Sendung kann hier in der Mediathek der Medienanstalt M-V nachgehört werden.
Playliste
Andreas Dorau – Größenwahn
Größenwahn
Staatsakt
Die Doraus Und Die Marinas – Tulpen Und Narzissen
Blumen Und Narzissen
Ata Tak
Andreas Dorau – Das Telefon Sagt Du
Neu!
Motor
Xircus – Dehdration
Reality Bites EP
Trapez
Andreas Dorau – Von Siemens Nach Telefunken
Das Telefon Sagt Du
Motor / ElektroMotor
Andreas Dorau Und Die Bruderschaft Der Kleinen Sorgen – Taxi Nach Shibuya
Demokratie
Ata Tak
James Blake – The Wilhelm Scream
James Blake
Atlas / Polydor
James Blake – Lindisfarne I
James Blake
Atlas / Polydor
James Blake – Lindisfarne II
James Blake
Atlas / Polydor
Nina Simone – Little Girl Blue
Little Girl Blue
Polydor
James Blake – Give Me My Month
James Blake
Atlas / Polydor
Station 17 – Bei Manni Und Bine (Remix von Andreas Dorau & Justus Köhncke)
Hitparade
Mute
Alexander Schubert – Semaphores
Alexander Schubert plays Sinebag
Ahornfelder
Alexander Schubert – Vowels
Alexander Schubert plays Sinebag
Ahornfelder
John Fahey – A Raga Called Pat – Part Two
Volume 6: Days Have Gone By
Takoma
Sinebag – M4w Gaerten
Milchwolken in Teein
Ahornfelder / Pulsmusik
Stephan Rethfeld & Lofi Deluxe – Herzschatten (Exc. 1)
Lesung & Sounds vom 14.10.2009
Mitschnitt & Post-Equalizing: Mathias Strüwing, Postproduction: Lofi Deluxe
Ferdinand Toddler – Cows Enplane Kafka
unreleased
–
Lofi Deluxe – Quiwia Pwint Y Dor II
unreleased
–
Stephan Rethfeld & Lofi Deluxe – Herzschatten (Exc. 2)
Lesung & Sounds vom 14.10.2009
Mitschnitt & Post-Equalizing: Mathias Strüwing, Postproduction: Lofi Deluxe
Lofi Deluxe – Oh, Aurora!
In Us A Reef
selfreleased
Lofi Deluxe – Rondo Macondo (Exc.)
In Us A Reef
selfreleased
Stephan Rethfeld & Lofi Deluxe – Herzschatten (Exc. 3)
Lesung & Sounds vom 14.10.2009
Mitschnitt & Post-Equalizing: Mathias Strüwing, Postproduction: Lofi Deluxe
John Fahey – Delta Flight 53
Hitomi
LivHouse Records
Sinebag – Laid In Flying Pans
V. A. – A-Core: 23 Soldiers Of Fakecore
Minor
Lullatone – Matteru (Waiting, We’re Waiting)
Elevator Music
bandcamp
Lullatone – Heart and Soul
Elevator Music
bandcamp
Larry Clinton & His Orchestra feat. Bea Wain – Heart And Soul
My Reverie
Living Era
Rotterdam – Berlin
Cambodia
Everest Records
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.